Virus (German Edition)
interessieren würde.
Doch in dem Moment,
als er die Titelseite sah, erstarrte er zu völliger Bewegungsunfähigkeit. Ihm
wurde von einer Sekunde auf die andere schrecklich heiß und Schweißperlen
traten auf seine Stirn. Eine Millionen Gedanken rasten gleichzeitig durch
seinen Kopf, doch nicht einen einzigen konnte er fassen. Er war wie in Trance.
Es konnte nicht sein. Unmöglich. Ausgeschlossen.
In riesigen Lettern
prangte die Überschrift über die gesamte Seitenbreite:
G8-Eklat:
Professor tot, Polizei lügt.
Doch noch viel
schlimmer als die Überschrift war das Bild, das unter ihr den kompletten Rest
der Titelseite einnahm. Es zeigte den brennenden, im Blitz gefangenen
Professor, die Extremitäten abgespreizt, das Gesicht durch unkontrollierte
Muskelkontraktionen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, Agonie in den Augen.
Aber der schreckliche
Todeskampf des Professors war nicht einmal das, was Wegmann an diesem Bild am
meisten erschreckte. Er nahm ihn kaum war. Starr war sein Blick auf den
Hintergrund gerichtet, auf das, was sich hinter dem Professor abspielte. Denn
dort, auf der Rückwand der Bühne, stand in eindeutig distinguierten, brennenden
Lettern, klar lesbar und nicht anders interpretierbar ‚A87’.
22.
Jo Somniak konnte
sein Glück kaum fassen. Alles lief für ihn, alles klappte. Schon am Vorabend
war alles glatt gegangen. Der Chefredakteur höchstpersönlich hatte ihn
empfangen und dafür gesorgt, dass der Redaktionsschluss ein wenig
hinausgeschoben wurde. In diesem Moment bereits würden sein Bild und seine
Geschichte an den Kiosken des Landes von der Titelseite der BILD prangen.
Doch seine
Glückssträhne schien keine Anstalten machen zu wollen, abzureißen. Der
Chefredakteur hatte ihm, auch nachdem man alles Geschäftliche geklärt hatte und
die Zeitung bereits im Druck war, noch ein längeres Gespräch aufgezwungen. Da
er anschließend noch die zweistündige Fahrt zurück nach Petersdamm hatte in
Kauf nehmen müssen, war Somniak relativ spät ins Bett gekommen und hatte auch
dann aufgrund seiner Aufgewühltheit nicht gut geschlafen. Trotzdem war er beim
ersten Klingeln des Weckers aufgestanden und hatte sich nicht noch einmal
umgedreht, um sich ein paar weitere Minuten zu gönnen.
Und nun wurde er mit
der Fortsetzung seiner Glückssträhne dafür belohnt. Gähnend war er nach dem
Aufstehen ans Fenster getreten, um die Vorhänge aufzuziehen. Sein Zimmer
überblickte den Strand und sofort war ihm eine größere Menschenansammlung
aufgefallen, die dort aufgeregter Geschäftigkeit nachging. Ein großer Teil der
Menschen hatte weiße Papieranzüge getragen wie es Spurensicherer der Polizei zu
tun pflegten.
Sofort hatte Somniak
nach seiner Kamera gegriffen und sein achthundert Millimeter Superteleobjektiv
aufgeschraubt. Als er anschließend durch den Sucher geblickt hatte, hatte sich
seine Hoffnung zunächst bestätigt. Es hatte sich um Spurensicherer und
uniformierte Beamte gehandelt, die in Zivil Gekleideten hatten ebenfalls
Polizisten sein müssen.
Aufgeregt hatte er
bereits begonnen, Fotos zu schießen, als sich einige der am Strand befindlichen
Personen bewegten und den Blick auf eine völlig entkleidete Frauenleiche
freigaben.
Jo Somniak konnte
sein Glück kaum fassen. Er schoss Foto über Foto. Anschließend setzte er sich
sofort an seinen Laptop und begann, eine Auswahl zu treffen. Die drei besten
bearbeitete er kurz mit Photoshop, um sie schick und noch ein wenig
dramatischer zu machen. Anschließend verfasste er eine Email an den
Chefredakteur der BILD-Zeitung, in der er seine Beobachtungen, Uhrzeit und
Datum und Details zur Entstehung der Fotos schilderte. Er hängte die Fotos an
die Email an und versandte sie.
Um noch einmal
persönlich nach Hamburg zu fahren, fehlte ihm die Zeit. Schließlich hatte er
Pläne. Die Polizei würde ihn festnehmen wollen, sobald sie herausgefunden
hatte, wer hinter den Fotos vom Vortag steckte, und er wollte ihr dafür zur
Verfügung stehen.
Die Verhaftung war
nicht der angenehmste Teil seines Plans, aber ein unabdingbarer. Um ein wahrer
Held im Kampf gegen die Einschränkung der Pressefreiheit werden zu können,
musste der Kampf von Seiten der Polizei so schmutzig und abstoßend wie möglich
geführt werden.
Jo Somniak konnte
sein Glück kaum fassen. Das Foto vom Vortag hätte völlig ausgereicht, für
seinen Plan. Davon, diesem Foto noch ein zweites hinterherschicken zu können,
hätte er nie zu träumen gewagt.
23.
Langsam ließ
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