Virus (German Edition)

Erste, während Hagen ihre Getränke brachte. Doch auch danach
sprach Debbie nicht weiter, sondern guckte Holger erwartungsvoll an. Offenbar
erwartete sie von ihm, dass er auch mal etwas zu dem Gespräch beitrug. Musste
das sein?
    Sie hätten nicht in
den ‚Dorfkrug’ kommen sollen, das hatte ihn runtergezogen. Andererseits: Warum
sollte er nicht auch etwas zu dem Gespräch beitragen? Es war doch sowieso alles
egal.
    „Ein Algorithmus
scheint mir ob der Mordumstände doch wahrscheinlich”, sinnierte er.
    „Ich würde vor allem
sagen, wegen der Ähnlichkeiten zwischen den beiden ersten Opfern, oder?” wandte
Debbie ein.
    „Ich denke, Letzteres
dürfte Resultat des Ersteren sein”, sagte Holger. „Die Mordumstände sprechen
dafür, dass der Mörder eine Aussage treffen will. Also sucht er sich Opfer aus,
die diese Aussage unterstützen. Das ist sein Algorithmus. Opfer, die seine Botschaft
unterstützen.”
    „Toll”, sagte Debbie
mit sarkastischem Tonfall. „Also sind wir wieder da, wo wir schon gestern waren
– bei seiner Botschaft.”
    „Ja”, erwiderte
Holger. „Allerdings könnte diese Korrelation zwischen Algorithmus und Aussage
uns weiterhelfen.”
    „Und wie?” Debbie
klang wenig überzeugt.
    „Wenn es uns auf
anderem Wege als über die Aussage gelänge, auf den Algorithmus zu schließen,
gäbe uns das einen weiteren möglichen Zugang zu seiner Botschaft. Eine neue
Perspektive.”
    Holger merkte, wie Debbie
über seine Idee nachdachte. Er blickte an ihr vorbei durch einen Spalt zwischen
zwei Batiktüchern nach draußen und sah, dass Hagen vor seiner Kneipe Biertische
aufbaute. Noch nie zuvor hatte der ‚Dorfkrug’ draußen Sitzgelegenheiten
geboten. Mit was für einem Besucheransturm rechnete Hagen denn? Er schien sich
seiner Sache jedenfalls sehr sicher zu sein.
    „Okay”, sagte Debbie
schließlich. „Und wie willst du anders als über die Aussage auf seine
Auswahlkriterien schließen?”
    „Du sagtest, beide Opfer
hätten über die SARS-Epidemie des Jahres 2003 geforscht?”
    „Ja.”
    „Dann erzähl mir doch
mal was über diese schlimme Epidemie.”
    Debbie nahm einen
Schluck von ihrem Wasser.
    „SARS ist eine
Viruserkrankung der Atemwege und steht für Severe Acute Respiratory Syndrome .
Ausgangspunkt war im Januar 2003 die chinesische Provinz Guang Dong”, sagte sie
dann und stutzte sogleich. „Übrigens die Provinz, aus der Meng Hong stammte,
fällt mir gerade auf.”
    „Ach was. Welch ein
Zufall”, sagte Holger.
    „Jedenfalls traten
bereits im Februar Fälle in Vietnam und Hong Kong auf”, fuhr Debbie fort. „Ich
weiß, dass Hong Kong zu China gehört, aber aus irgendeinem Grund wird es von
der WHO immer noch separat gelistet. Wie auch immer. Bereits bis Mitte März gab
es einhundertfünfzig weitere Fälle in Asien. Singapur, Indonesien, Thailand und
die Philippinen hatten bis dahin Fälle gemeldet.”
    Langsam wurden es
Holger zu viele Informationen auf einmal. Er zog einen alten Ikea-Bleistift aus
seiner Hosentasche, den er stets bei sich trug, und griff nach einem der roten
Flyer, von denen ein ganzer Stapel auf dem Tisch lag. Die Rückseite war
unbedruckt und er begann, sich Notizen zu machen.
    Februar:
China. März: Singapur, Indonesien, Thailand, Philippinen, notierte er.
    „Interessant ist”, fuhr
Debbie fort, „dass es aber zu diesem Zeitpunkt auch bereits etwa zweihundert
Fälle in Kanada gab.”
    „Kanada?” fragte
Holger überrascht nach.
    „Ja, Kanada. Dort hat
sich sehr schnell eine eigene Infektionskette gebildet. Erinnerst du dich daran,
was ich dir über Supershedder und Superspreader erzählt habe? In Kanada müssen
ein paar Leute wirklich sehr effektiv den Virus verbreitet haben.”
    Holger nickte und
fügte Kanada zu seinen Notizen hinzu.
    „Auch Japan und sogar
die innere Mongolei kamen dann hinzu”, machte Debbie mit ihrem Vortrag weiter.
„Insgesamt erreichte der Virus zweiunddreißig Länder. Etwa achteinhalbtausend
Menschen erkrankten, knapp tausend starben. Allerdings hielt sich der Virus
doch hauptsächlich in Asien auf. In ganz Europa wurden nur knapp vierzig Fälle
verzeichnet, in den USA sechsundzwanzig Fälle und in Kanada über zweihundertfünfzig.
Im Sommer 2003 klang die Epidemie ab und der Virus verschwand dann völlig. Der
letzte Fall datiert aus dem Dezember des Jahres. Es handelte sich allerdings um
einen Arzt, einen Militärarzt aus Taiwan, und man geht davon aus, dass er mit
dem Virus experimentiert hat.”
    Holger nahm