Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
Vom Netzwerk:
einen
Schluck von seiner Cola und blickte auf seine Notizen. Eine ganz schöne Flut an
Informationen. Jetzt war strukturiertes Denken gefragt, und bei all den
interessanten Aspekten der Geschichte dieser Epidemie sollten sie doch ihre
zentrale Frage nicht aus den Augen verlieren: Nach welchem Algorithmus suchte
der Mörder seine Opfer aus?
    „Danke für die gratis
Lektion in Geschichte der Medizin”, sagte er, was Debbie ein verlegenes Lächeln
abrang. Zum ersten Mal fiel Holger auf, wie unglaublich hübsch sie war. Noch
nie hatte er weißere Zähne, noch nie sanftere Lippen gesehen. Doch er
registrierte es lediglich, nahm es wahr, ohne dass es für ihn eine Bedeutung
gehabt hätte. Es konnte einfach keine Bedeutung für ihn haben. Er mochte sie ja
noch nicht einmal. Er hatte nicht vergessen, wie rüde sie sein Hilfsangebot im
Kongresszentrum abgewiesen hatte und nun begann sie sogar, an seiner
Gleichgültigkeit zu rütteln. Was bildete sie sich ein?
    Warum war er
überhaupt heute Morgen in ihr Hotel gegangen? Richtig. Weil es ihm nicht gleichgültig
gewesen war, dass er sie am Vorabend verletzt hatte. Diese blöde hübsche
Amerikanerin schickte sich doch tatsächlich an, Mauersteine aus seinem
Schutzwall abzutragen. Zu stehlen. Diebin!
    Hätte sie doch bloß
nicht so weiße Zähne. Er gab sich einen Ruck. Natürlich war sie ihm
gleichgültig. Wie alles. Daran konnte auch ihr Lächeln nichts ändern.
    „Gab es SARS-Fälle in
Großbritannien?” fragte er, um seine Konzentration wieder auf das Thema zu
lenken. Dazu verlieh er seiner Stimme das gleichgültigste Leiern, das er noch
hinbekam, ohne dass es gestellt wirkte.
    „Ganz wenige”,
antwortete sie nachdenklich. „Vier oder fünf. Aber es gab auf keinen Fall einen
Toten, da bin ich mir sicher. In ganz Europa gab es nur einen einzigen
Todesfall und den in Frankreich.”
    Holger blickte auf
seine Notizen, als könne er dort die Antwort finden. Er fand keine.
    „Wenn wir also
einfach mal davon ausgehen, dass der Mörder die SARS-Epidemie von 2003 als
Grundlage für seine Opferauswahl nimmt – ich weiß nicht warum, aber die Idee
gefällt mir – was könnten Großbritannien und China dann gemeinsam haben?”
fragte er schließlich.
    „Wieso gefällt dir
die Idee?” fragte sie zurück.
    „Mein Wissen, Deborah,
beschränkt sich auf Bildung”, erwiderte er. „Wieso mir etwas gefällt oder
nicht, entzieht sich meiner Kenntnis.”
    Sie schmunzelte.
    „Also”, sagte sie
dann nachdenklich, „was haben China und Großbritannien in Bezug auf die 2003er
Epidemie gemeinsam?” Sie grübelte eine Weile vor sich hin und Holger wollte sie
nicht dabei stören. Doch plötzlich fuhr sie hoch und ihr Gesicht schien dabei
‚heureka’ zu schreien.
    „ I got it! In
Großbritannien gab es – genau wie in China und im Gegensatz zu allen anderen
europäischen Ländern – eine lokale Infektionskette”, rief sie aus. „Es gab zwar
nur wenige Fälle, darunter aber Sekundärinfektionen.”
    Holger starrte sie
an. Er konnte es kaum glauben.
    „Deborah”, sagte er
schließlich, „unter Umständen hast du soeben die Systematik des Mörders
gefunden.”
    „Meinst du?” fragte
Debbie unsicher, wurde dann aber sofort ungehalten. „Hör endlich auf mich
Deborah zu nennen”, sagte sie und patschte ihm mit der flachen Hand auf seinen
Arm.
    „Mir gefällt Deborah”,
murmelte Holger gedankenverloren.
    Es war der letzte
ruhige Moment, den er in dieser Kneipe jemals haben würde. Denn in dem
Augenblick betraten weitere Gäste den Schankraum. Unschwer identifizierte
Holger sie als Globalisierungsgegner und erneut keimte Hass in ihm auf. Es
waren viele, eine ganze Horde. Zehn, aber immer noch strömten mehr durch die
Tür, zwanzig, und weitere drängten nach, dreißig, es wurde eng in der Kneipe.
    Es wurde sogar richtig
eng und der Lautstärkepegel, den das Pack mit sich brachte, hatte etwas von
einer Flugzeugturbine. Holger sah zu Hagen hinüber, doch der erwiderte seinen
Blick nicht. Viel zu beschäftigt war er damit, seine Gäste zu begrüßen und mit
Pils zu versorgen. Überrascht wirkte er in keinster Weise. Hatte er mit
Globalisierungsgegnern gerechnet? War das seine neue Zielgruppe? Wie hatte er
sie so schnell und vor allem in so großen Massen hierher gelockt? Und was würde
er tun, wenn der Gipfel vorüber war? Er hatte durchaus so geklungen, als habe
er einen Plan. Kult werde seine Kneipe werden, hatte er gesagt.
    –––––
    Passe betrat mit Dora
an der Hand als

Weitere Kostenlose Bücher