Virus (German Edition)
dabei niemand,
sein Verstand war seine einzige Quelle. Debbie schien etwas zu wissen, doch sie
war nicht auf ihrem Zimmer und eine Handynummer hatte er von ihr nicht. Wieso
eigentlich nicht? Wie konnte es angehen, dass er eine so heiße Kollegin noch
nie nach ihrer Nummer gefragt hatte? Er würde das ändern, wenn das hier
überstanden war.
Die beiden Opfer
waren Epidemiologen gewesen. Musste er als Virologe sich überhaupt Sorgen
machen? Passte er noch ins Schema? Wenn es überhaupt eins gab. Wahrscheinlich
hatte es sich um Unfälle gehandelt. Die zeitliche und räumliche Nähe war ein
Zufall, wie es Zufälle nun mal gab. Nein, es gab keinen Grund sich Sorgen zu
machen. Er zündete sich eine neue Zigarette an und fragte sich, warum er so
nervös war, wenn es doch gar keinen Grund gab, sich zu sorgen.
Dann klopfte es an
der Tür. Dafür, dass es keinen Grund zur Sorge gab, wirbelte er viel zu schnell
herum, und er merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Warum? Ein
seltsames Gefühl beschlich ihn.
Er ging zur Tür,
schob die Kette vor und öffnete sie einen Spalt. Augenblicklich durchzuckte ihn
endlose Erleichterung, als er in das Gesicht seines alten Studienkollegen blickte.
Er entfernte die Kette und bat seinen Freund herein. Endlich jemand, mit dem er
reden konnte, mit dem er sich austauschen konnte, dem er seine Sorgen mitteilen
konnte, und der sich sogar in der gleichen Situation befand.
Er bedeutete seinem
Gast, in der kleinen Sitzecke seines Zimmers Platz zu nehmen, holte zwei
Flaschen Bier aus der Minibar, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch. Es war
zwar erst Mittag, doch ein Bier würde ihm jetzt guttun. Dann blickte er sich
nach der Kaffeetasse um, die er als Aschenbecher umfunktioniert hatte, fand sie
auf dem Pult, auf dem auch immer noch sein Laptop mit den Ergebnissen seiner
Flugsuche stand, ging hinüber, drückte die Zigarette aus und setzte sich
anschließend zu seinem Freund.
Es war schön, nach
drei Stunden bedrückender Gedanken ein vertrautes Gesicht zu sehen. Die Ruhe,
die sein ehemaliger Kommilitone ausstrahlte, griff auf ihn über. Es gab keinen
Grund sich Sorgen zu machen. Er hatte sich in etwas hineingesteigert.
Mit nun ruhiger Hand
griff er nach seinem Bier, stieß mit seinem Gast an und trank. Nur wenige
Augenblicke später spürte er eine grenzenlose Müdigkeit sich seiner
bemächtigen. Das letzte, was ihm durch den Kopf ging, war die Frage, ob es
nicht vielleicht doch Grund gab, sich zu sorgen. Dann wurde ihm schwarz vor
Augen.
37.
Milla Herforth war im
Stress. Das folgende Meeting würde ihre Ermittlungen nicht das kleinste Stück
weiter bringen, es würde ihr lediglich Zeit rauben, von der sie angesichts der
offenbar recht schnellen Taktung des Mörders nicht allzu viel zu verschenken
hatte. Doch es war unausweichlich. Es gehörte nun mal zur Aufgabe der leitenden
Ermittlerin, ihren Chef und auch andere Institutionen über den Stand der Dinge
zu informieren.
Wenn sie das Meeting
doch wenigstens nach Rostock gelegt hätten. Aber leider befanden sich die
übrigen Teilnehmer alle in Petersdamm und so hatte sie die halbstündige Fahrt
auf sich nehmen müssen. In Gedanken ging sie noch einmal durch, was sie sagen
würde.
Nach dem letzten
Meeting hatte sie Meller noch einmal beiseite genommen, weil ihr etwas in
seinen Ausführungen aufgefallen war. Es hatte sich nur um ein winziges Detail
gehandelt und sie hatte gehofft, es falsch interpretiert zu haben. Leider war dies
nicht der Fall gewesen. Seine Antwort auf ihre Frage war exakt die gewesen, die
sie befürchtet hatte, und diese Ungeheuerlichkeit würde sie nun den wichtigsten
Menschen übermitteln müssen, die für die Sicherheit während des Gipfels
verantwortlich waren.
Sie parkte den
Leihwagen vor dem ‚Seeadler’ und betrat das Hotel.
Das Meeting fand in
einem der zahlreichen Konferenzräume des Hotels statt. Herbert Bruncke, der
Chef des Bundeskriminalamts, der trotz seiner wenig beeindruckenden Körpergröße
diese Aura von Macht um sich trug, war bereits dort, als Herforth den Raum
betrat. Der Raum war im Warehouse-Stil eingerichtet und versprühte mit seinen
offenen Stahlträgern und seinen unverputzten Wänden einen gewinnenden
Industrie-Charme. Die breite Fensterfront überblickte den Strand und die
Ostsee.
Zu Herforths großer
Erleichterung standen auf einem Beistelltisch auch Sandwiches bereit, wenn man
die denn noch so nennen durfte. Sie wirkten so unglaublich mondän hergerichtet,
dass sie sich im
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