Virus (German Edition)
Tod seiner Frau betraf, frei von
der Seele zu reden. Sie würde ihm Details einzeln entlocken müssen, aber sie
wollte es auch nicht übertreiben. Es war ein nahezu makaberes
Frage-und-Antwort-Spiel, doch Debbie war überzeugt davon, dass es Holger auf
lange Sicht helfen würde. Er musste einfach darüber sprechen, musste den Tod
seiner Frau verarbeiten.
„Wie war ihr Name?”
fragte sie. Sie wusste, dass ihren Namen zu nennen die Schmerzen nur noch erhöhen
würde, doch auch dieser Schmerz stand in keiner Relation zu dem positiven
Effekt, den ein Verarbeiten auf lange Sicht hatte.
In der Tat schwieg
Holger erneut für eine längere Weile. Dann zog er die Knie an seine Brust und
umklammerte seine Unterschenkel.
„Natalia”, sagte er
mit fester Stimme. Es klang liebevoll, wie er ihren Namen aussprach, und in
keinster Weise gleichgültig.
„Ist ihr Tod der
Grund, warum du deinen Glauben zu Gott verloren hast?” fragte Debbie. Sie hatte
das Gefühl, für den Moment genug im Zentrum der Wunde rumgestochert zu haben.
„Welcher Gott würde
zulassen, was geschehen ist?” fragte er zurück. „Mit Sicherheit kein Gott, an
den ich je geglaubt habe. Der gerechte Gott, den das Alte Testament beschreibt,
hätte es nicht zugelassen, denn nie habe ich ihm Grund gegeben, über mich zu
richten. Ich war ein guter Christ und ein guter Hirte. Das Neue Testament sagt
Gott Gnade nach. Wieso aber sollte ein gnädiger Gott mir meine Frau nehmen?
Nein, Deborah, den Gott, an den ich geglaubt habe, den gibt es nicht.”
Die Bestimmtheit in
seiner Stimme war bedrückend. Er glaubte nicht, es gebe keinen Gott, sondern er
war überzeugt davon.
Debbie beschloss, das
Thema für den Moment auf sich beruhen zu lassen. Holger hatte einen Anfang
gemacht, einen ersten Schritt. Er selbst würde merken, wann er bereit war, den
zweiten Schritt zu tun, und dann würde er von sich aus auf sie zukommen. Sie
würde ihm helfen, Natalias Tod zu verarbeiten, aber er sollte bestimmen, in
welchem Tempo sie das taten.
Wieder folgte Schweigen,
und Debbie dachte mitleidig über Holgers schweres Schicksal nach.
Völlig unerwartet
unterbrach er noch ein letztes Mal die Stille.
„Sie war schwanger,
als sie starb. Sie war im siebten Monat schwanger.”
Dann kehrte die
Stille zurück.
45.
Es klopfte an der
Tür. Erleichtert registrierte Wegmann, dass es nicht Herforth sein konnte, denn
die pflegte ohne anzuklopfen sein Büro zu betreten. Doch seine Erleichterung
hielt nicht lange an. Die Kollegin, die auf seine Aufforderung hin den Raum
betrat, informierte ihn nämlich lediglich darüber, dass Herforth ihn in ihrem
Büro sprechen wolle.
Was wollte diese Hexe
nun schon wieder? Wann würde Driver erste Ergebnisse liefern? Mit dem unguten
Gefühl im Bauch, neuem Ärger gegenüber zu stehen, betrat er wenige Augenblicke
später das provisorische Büro seiner neuen Vorgesetzten. Kurz war er versucht,
es ihr gleichzutun und auf ein Anklopfen zu verzichten, doch dann besann er
sich eines Besseren.
„Sie wollten mich
sprechen?” fragte er, nachdem sie ihn hereingebeten hatte. Herforth würdigte
ihn nicht einmal eines Blickes. Sie saß an dem großen Konferenztisch und
starrte auf den eingeschalteten Fernseher, der in einer Ecke des Raums unter
der Zimmerdecke befestigt war.
Anstelle einer
Antwort deutete sie nur stumm auf das Gerät. Es lief ein Beitrag von Tanja
Franke. Unschwer konnte Wegmann auf dem Bildschirm das Gebäude erkennen, in dem
er sich gerade befand, die Polizeidirektion Rostock. Es dauerte nur wenige
Augenblicke, bis Wegmann seine Zuneigung zu der hübschen Reporterin zu
verlieren begann, und als Herforth den Fernseher fünf Minuten später
ausschaltete, hasste er Franke nahezu ebenso abgrundtief wie seine Chefin.
Wie angewurzelt und
völlig paralysiert stand er noch immer unmittelbar an der Tür zu dem Büro, die
Hand auf der Türklinke, den Mund offen, das Gesicht rot. Was Franke dort soeben
betrieben hatte, grenzte an Rufmord. Dass die Reporter sauer über die
Informationspolitik der Polizei waren, war eine Sache. Aber ihn persönlich so
an den Pranger zu stellen, war eine andere.
Franke hatte in ihrem
Beitrag von der skandalösen Unterdrückung der Pressefreiheit durch die
Rostocker Polizei berichtet, wie man sie sonst nur in Ländern mit
kommunistischem Regime antreffe. Als Beleg hierfür führte sie die Verhaftung Jo
Somniaks an, des Helden, der sich gegen die Willkür der deutschen Behörden
aufgelehnt und den Tod des
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