Virus (German Edition)
chinesischen Professors Meng Hong publik gemacht
habe. Er werde nun dafür bestraft, dass er der Bevölkerung dieser Erde zu ihrem
grundlegenden Recht auf Information verholfen habe.
Unterlegt war der
Bericht mit Bildern davon, wie Polizeibeamte Somniak in Handschellen in die
Polizeidirektion führten. Doch damit nicht genug. Auch Bilder von Wegmanns
Auseinandersetzung mit Ashcroft am Vormittag wurden ausgestrahlt. Seinen Stoß
gegen die Amerikanerin kommentierte Franke als überzogene Polizeigewalt und ihn
selbst beschrieb sie als inkompetent, überfordert, nervlich labil und brutal.
Der gesamte Bericht
war eine einzige Stigmatisierung Wegmanns und Heroisierung Somniaks. Während er
zum Sündenbock für alles herhalten musste, wurde der Journalist zum Held im
Kampf gegen die Eingrenzung der Pressefreiheit hochgejubelt.
Herforth, diese
falsche Schlange, hatte schlichtweg darauf verzichtet, öffentlich zu machen,
dass sie die Ermittlungen nun leitete, um Wegmann den Medien stets als Kanonenfutter
zuschieben zu können. Natürlich unterstützte auch er die Informationspolitik
der Polizei, die Ermittlungen nicht zu kommentieren. Aber die letztgültige
Entscheidung darüber lag nun bei Herforth, und das bedeutete, dass sie verdammt
nochmal auch dafür gerade zu stehen hatte.
Wegmann hegte
allerdings die starke Vermutung, dass Herforth das anders sah.
„Gute Arbeit,
Wegmann. Vielen Dank”, sagte Herforth mit beißendem Sarkasmus in der Stimme,
während sie sich ihm zuwandte. „Dank Ihres hoch professionellen Auftritts haben
wir die Medienmeute jetzt nicht nur vor der Tür, sondern auch noch zum Feind.”
Was? Jetzt war es
seine Schuld, dass die Reporter Somniaks Verhaftung nicht guthießen? Jetzt war
es sein Fehler, dass er sich an Herforths Anweisung hielt, den Medien gegenüber
keinen Kommentar abzugeben? Er atmete tief durch und dachte an Driver. Seine
Zeit würde kommen. Im Moment noch musste er die Erniedrigungen ertragen, doch
seine Zeit würde kommen. Neues Selbstvertrauen durchströmte ihn. Er ließ die
Türklinke los und verschränkte die Arme vor der Brust. Reagieren würde er auf
diese haltlosen Vorwürfe nicht.
„Was hat das Verhör
des Journalisten ergeben?” wechselte Herforth das Thema.
„Er wollte nichts
sagen, ohne seinen Anwalt gesprochen zu haben”, erwiderte Wegmann.
„Ist das Ihr Ernst?”
fuhr Herforth auf. „Sie sind nicht mal in der Lage, einem kleinen Journalisten
ein paar Informationen zu entlocken? Der Mann hat absolut nichts zu befürchten.
Er hat ein Foto gemacht. Und Sie können ihm nicht klarmachen, dass er keinen
Anwalt benötigt?”
Wegmann hatte es
gewusst. Herforth lastete ihm Somniaks Sturheit an. Nahezu wortwörtlich hatte
er ihre Reaktion auf seinen Verhörmisserfolg vorhergesehen.
„Sie können sich
gerne die Aufzeichnung des Verhörs anhören”, sagte er. „Dann werden Sie sehen,
wie unglaublich stur dieser Typ ist.”
„Danke, ich kann mir
den Verlauf des Verhörs sehr gut vorstellen. Dafür brauche ich die Aufzeichnung
nicht”, sagte sie, stand von ihrem Stuhl auf und ging auf Wegmann zu.
„Ich möchte, dass Sie
die Sache mit den Medien geraderücken”, sagte sie mit Nachdruck in der Stimme.
„Geben Sie eine Pressekonferenz oder was auch immer, aber rücken Sie es gerade.
Schlecht gelaunte Reporter vor der Tür kann ich nicht gebrauchen. Es ist Ihr
Fehler, Wegmann, und ich will, dass Sie das in Ordnung bringen. Und wenn Sie
dabei auch nur ein Wort zum Ermittlungsstand verlieren, sind Sie raus. Haben
Sie mich verstanden?”
„Das habe ich. Sie
verfügen über eine bemerkenswert klare Artikulation”, war Wegmann versucht zu
sagen. Er verkniff es sich.
46.
Seit zwanzig Minuten
hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Holger saß noch immer auf dem Boden und
Debbie lag wahrscheinlich auch noch auf der Bank. Er hatte sich aus Sorge, sie
könne das als Aufforderung fehlinterpretieren, die Unterhaltung fortzuführen, nicht
getraut, hinüberzuschauen.
Holger wollte die
Unterhaltung nicht fortführen. Nicht jetzt. Er schätzte Debbies Zurückhaltung.
Sie schien ihm Zeit geben zu wollen und drängte sich nicht auf. Er wusste, dass
sie Recht hatte. Er musste Natalias Tod verarbeiten. Zu lange hatte er das vor
sich hergeschoben, sich vor den Schmerzen gefürchtet, sich in die
Gleichgültigkeit geflüchtet. Natürlich tat es weh, das alles wieder
aufzuwärmen, die Gedanken, die Bilder – verdammt weh sogar. Aber es war die
einzige Möglichkeit, auf lange Sicht
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