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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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nicht gleich, ob
mit oder ohne Gott?”
    Diesmal musste Debbie
nachdenken. Gewiss hatte Holger Recht mit dem, was er sagte, aber er konnte
andererseits ja nicht von ihr verlangen, ihren Glauben zu erklären. Nur weil es
nicht über einen heiligen Text verfügte, war das Christentum ja keine weniger
valide Religion. Glaube war etwas, was man nicht erklären konnte, er war ein
Gefühl.
    „Verstehe ich dich
richtig, dass du also nicht an Gott glaubst?” fragte sie, nachdem sie sich
entschlossen hatte, nicht direkt auf seine Frage zu antworten.
    „Es gibt keinen Gott,
Deborah”, sagte er mit einer traurigen Bestimmtheit, wie sie sie von ihm noch
nie gehört hatte. Sogar das Leiern hatte er aus seiner Stimme verbannt, und von
Gleichgültigkeit fehlte jede Spur.
    „Wo ist deine
Gleichgültigkeit hin?” fragte sie provozierend. „Ist es nicht egal, ob es einen
Gott gibt oder nicht?”
    Er sah sie lange an.
War sie zu weit gegangen? Hatte sie seine Gefühle verletzt? Was war überhaupt
mit ihrem Deal? Sie hatte seine Frage nach ihrem Glauben beantwortet. Musste er
jetzt nicht auch ihre Frage nach seiner Gleichgültigkeit beantworten? Wahrscheinlich
gab es gar keinen Deal. Offen ausgesprochen hatten sie ihn jedenfalls nie.
Debbie hatte ihn einfach implizit angenommen.
    „Im Prinzip ist es
egal, in der Tat”, antwortete Holger schließlich, und das Leiern war in seine
Prosodie zurückgekehrt. „Aber egal oder nicht, dieser eine Fakt bleibt
unumstößlich: Einen Gott gibt es nicht.”
    Erneut folgte ein
langes Schweigen. Es war alles gesagt zu diesem Thema. Was hätte Debbie noch
länger nachhaken sollen? Wenn er ihr nicht mehr erzählen wollte, dann wollte er
eben nicht. Sie hatte ihm ihr Angebot, ihm zuzuhören, ihm zu helfen,
unterbreitet. Entweder er würde irgendwann darauf zurückkommen oder nicht. Sie
würde es jedenfalls nicht wiederholen.
    Holger hatte
inzwischen das Anstarren seiner Füße wieder aufgenommen, und Debbie legte sich
zurück auf die Bank. Sie starrte an die Decke. Er war also nicht nur völlig
gleichgültig der Welt und allen in ihr lebenden Menschen gegenüber – er war
auch ein Pfarrer ohne Glauben. Was für ein seltsamer Typ. Etwas Schreckliches
musste ihm widerfahren sein. Sie mochte ihn und sie hätte ihm nur zu gerne geholfen,
aber sie war auch bei Weitem zu stolz, um ihm ihre Hilfe aufzudrängen. Sie
hatte sie angeboten. Mehr würde sie nicht tun.
    Doch das Schweigen
wurde schnell bedrückend. Immer häufiger musste Debbie daran denken, dass sie
wahrscheinlich auf der Todesliste eines geisteskranken Serienkillers stand.
Machte es überhaupt noch einen Unterschied, Holgers Sorgen zu erfahren? Lange
würde sie sowieso keine Freude mehr daran haben, denn lange würde sie
wahrscheinlich nicht mehr leben.
    „Meine Frau ist
gestorben”, durchbrach Holger plötzlich und völlig unvermittelt das Schweigen.
Mit einem Ruck setzte sich Debbie auf und starrte ihn an. Er hatte also
tatsächlich die ganze Zeit nur über die eine Frage nachgedacht, ob er es ihr
erzählen sollte oder nicht. Und er hatte sich dafür entschieden. Einen größeren
Vertrauensbeweis hätte er ihr nicht liefern können.
    „Das tut mir leid,
Holger”, ihre Stimme war fest und bestimmt. Menschen, die sie kannten, wussten,
wie aufrichtig sie war. Sie hatte es nicht nötig, durch eine mitleidvolle oder
traurige Intonation ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. Ganz im Gegenteil war
sie sogar der Überzeugung, dass Menschen, die ihrer Stimme etwas Mitleidiges
gaben, dies taten, um einen real vorhandenen Mangel an Mitleid zu überspielen.
    „Ich weiß”, sagte er
leise und es gefiel Debbie. Mit diesen einfachen zwei Worten hatte er
kundgetan, dass er ihr Mitgefühl für ehrlich hielt, dass er sie nicht für eine
Heuchlerin hielt. Mit diesen zwei Worten hatte er ihr gesagt, dass er sie
kannte, dass er in ihre Persönlichkeit geschaut hatte. Und das konnte nur
bedeuten, dass er sie mochte. Zwei Worte konnten manchmal so viel sagen.
    „Wie lange ist das
her?” fragte sie.
    „Es ist fast zwei
Jahre her.” Holger leierte nun stärker denn je, doch das war auch mehr als
verständlich. Dies war der Ursprung seiner Gleichgültigkeit. Dies waren die
Gedanken, vor denen er sich mit seinem Schutzwall zu schützen versuchte. Man
konnte nicht von ihm erwarten, dass er diese Mauer mit einem einzigen Schlag
niederwarf. Er würde sie Stein für Stein abtragen müssen.
    Allerdings schien er
noch nicht soweit, sich einfach alles, was den

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