Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
stamme er aus den ersten Tagen der Kolonialzeit. Den Rahmen bildeten zwei Schlangen, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen. Er war so fein gearbeitet, dass man jede einzelne Schuppe erkennen konnte. Krentler stellte sich vor den Spiegel. Die Augen der Schlange, deren Kopf auf der Oberseite lag, waren aus einem dezent grünlich schimmernden Stein gearbeitet, die einen fixierten, wenn man vor dem Spiegel stand. Unwillkürlich blickte er zur Unterseite, die Augen der anderen Schlange waren herausgebrochen worden. Nur die toten Augenhöhlen erwiderten seinen Blick. Li hatte sich neben ihn gestellt und über sein erschrockenes Gesicht gelacht. Er war sich falsch vorgekommen und hatte sich plötzlich nach Marianne gesehnt. Sie hätte nicht gelacht. Sie hätte ihn verstanden.
*
Zwei Stunden später stand Ralsmann, Chef der Abteilung für Virologie an der Charité, mit besorgtem Blick vor Krentlers Bett. Er trug einen Mundschutz und schüttelte langsam den Kopf. Neben dem Fenster saß auf einem Stuhl Marianne. Auch sie trug einen Mundschutz.
„Sie haben eine schwere Lungenentzündung, wahrscheinlich begüngstigt durch einen viralen Infekt.“ sagte Ralsmann. „Aber das ist es nicht, was mich beunruhigt.“
Er schwieg.
„Was beunruhigt sie denn?“ fragte Krentler. Nach der Ankunft im Krankenhaus hatte man ihm ein fiebersenkendes Mittel und Antibiotika verabreicht. Er schwitzte immer noch, als wäre er im tiefsten tropischen Urwald, und die Kopfschmerzen taten ein übriges. Aber jenseits der Schmerzen, in weiter Ferne, deutete sich eine Ahnung der Ermattung an, die sich vor der Genesung einstellt.
Ralsmann, der sich in seine Unterlagen vertieft hatte, hob den Kopf.
„Was mich beunruhigt, ist die Geschwindigkeit und Aggressivität des Virus, mit dem ihr Körper konfrontiert war. Ihre Atemwege sehen aus, als hätte der Sensemann dort alles abgemäht. Die Zilien, äh,“ - er wandte sich an Marianne - „das sind die kleinen Härchen, die den Schleim und alles andere aus der Lunge transportieren, was dort nicht hinein gehört -, die Zilien sind fast alle tot. Die Schleimhaut ist stark entzündet. Daher auch das Blut beim Husten. Die Immunfluoreszenz-Analyse zeigt eindeutig Influenza-Viren. Aber ich muß zugeben, dass ich noch nie mit solchen Symptomen nach einer so kurzen Infektionszeit konfrontiert worden bin.“
„Was wollen sie damit sagen?“ Krentler wurde ungeduldig. Er konnte es nicht haben, wenn jemand mit einem Verdacht hinterm Berg hielt. „Ich hatte eine Grippe. Gut, eine ungewöhnlich schwere. Na und? Ich habe die letzten zwei Wochen im tropischen Urwald zugebracht, bei konstant dreißig Grad, das ist wie in der Sauna. Hier in Berlin haben wir 20 Grad minus. Das kann einen schon fertig machen.“
Ralsmann sah ihn mit durchdringenden Augen an.
„Ihre Frau sagt, sie hätten die letzten zwei Wochen in Guangdong gearbeitet und Kontaktinfektionen von H5N1 untersucht. Hatten sie engeren Kontakt mit H5N1-Patienten?“
Krentler schluckte.
„Sie glauben doch hoffentlich nicht, ich hätte mich mit der Vogelgrippe angesteckt? Das ist absurd. Ich habe die medizinischen Vorsichtsmaßnahmen eingehalten. Ich habe keine infizierten Farmen besucht, sondern immer die Desinfektion abgewartet. Ich arbeite seit fünf Jahren auf diese Weise und war nicht das erste Mal in Guangdong.“
Ralsmann nickte. Er blickte aus dem Fenster. Draußen war es inzwischen hell geworden. Schneeflocken tanzten vor der Scheibe. Der Himmel war noch immer grau.
„Gut. Dann bin ich beruhigt. Die Symptome deuten auf eine Grippe mit nachfolgender bakterieller Infektion hin. Vermutlich hat der Klimawechsel ihr Immunsystem stark geschwächt. Daher die Heftigkeit der Erkrankung. Ich würde sie gerne noch einen Tag hier behalten.“
Krentler schüttelte den Kopf und suchte nach einem klaren Gedanken. Ralsmann hatte Recht, der Verlauf der Krankheit war ungewöhnlich heftig. Aber H5N1? Das war zu unwahrscheinlich. Marianne hatte ihm ins Gesicht gehustet, als er erschöpft aus Hongkong gekommen war. Die zusätzliche Infektion. Andererseits konnte er Ralsmann verstehen. Zumal bei der öffentlichen Stimmung. Glaubte man den Medien, rückte der pandemische Untergang mit jedem Tag näher. Die Panikmache des Ministeriums gegenüber dem medizinischen Schlüsselpersonal tat ein übriges. Mit dem Bettlaken wischte er sich den Schweiß von der Stirn und nickte.
„Einverstanden. Ich bleibe noch einen Tag.“
Marianne setzte sich zu ihm aufs Bett und nahm seine
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