Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
bestätigt, der genaue Zeitpunkt der Rückkehr blieb jedoch unklar. Bisher war das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen worden. Man glaubte der Mutter nicht.
Nach dem Gespräch verabschiedete sich der Arzt mit einem Nicken.
Für den Nachmittag hatte Krentler sich vorgenommen, endlich den Bericht zu schreiben, den sie zuhause beim Robert-Koch-Institut schon sehnsüchtig erwarteten. Die Pandemie-Planungsgruppe des Instituts war beteiligt an der Verteilung der Mittel, die die deutsche Regierung für die Bekämpfung der Vogelgrippe bewilligt hatte. Ein Teil der Gelder sollte in Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in der Provinz Guangdong fließen. Krentler hatte den Auftrag, sich ein Bild von den Zuständen und den bereits ergriffenen Maßnahmen zu machen.
Bei seiner Abreise war man besorgt gewesen, weil die chinesische Regierung mit Informationen sehr sparsam umging – das Meiste wurde verschwiegen. Diplomatische Vertreter wurden erst informiert, wenn es Tote gab. Klar war jedoch, dass die Provinz Guangdong dem Virus optimale Verhältnisse bot. Nirgendwo sonst auf der Welt lebten so viele Hühner in so engem Kontakt mit den Menschen. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Provinz war der Konsum von Geflügel in den letzten Jahren stetig gewachsen. Dazu kamen eine steigende Anzahl von Zuchtbetrieben, die für den Export produzierten. Tonnen von Fleisch verließen jeden Tag diese riesigen Farmen, um in den weltweiten Fastfood-Ketten die Gier und den Hunger von Millionen Menschen zu stillen.
Auf riesigen Märkten boten kleine und große Züchter ihr Geflügel an. Alle Arten von Enten, Gänsen und vor allem Hühner wurden hier gehandelt. Von allen Erdteilen bildete Südchina damit die größte Kontaktfläche zwischen lebendem Geflügel und dem Menschen. Eine ideale Umgebung für die Entwicklung und Übertragung gefährlicher Viren. Es war kein Zufall, dass die Überwindung der Artenschranke hier am häufigsten statt fand. Auch die Vogelgrippe hatte hier 1997 das erste Mal den Sprung vom Geflügel auf den Menschen geschafft.
*
Seit den Jahren in der Unfallstation war Krentler es gewohnt, Menschen sterben zu sehen. Und diese Frau würde sterben, das sagte ihm seine Intuition. Ihr hysterischer Anfall war ein letztes Aufbäumen gegen das Unvermeidliche. Tief im Innern hatte ihr Körper sein furchtbares Schicksal erkannt, noch bevor die sensiblen Geräte der Mediziner etwas anzeigten. In ihren Augen hatte sich der Wahnsinn gespiegelt, ausgelöst durch die unfassbare Tatsache, dass der Kampf gegen das Virus, gegen den Tod, verloren war. Aber das war es nicht, was ihn beunruhigte. Aus ihrer Verzweiflung sprach nicht nur die Begegnung mit dem eigenen Tod. Was, wenn die Frau Recht hatte? Was, wenn sie sich nicht bei einem Vogel angesteckt hatte, sondern tatsächlich bei ihrer Tochter? Nein. Das war unmöglich. Das gesamte Personal wäre inzwischen erkrankt. Er verscheuchte den Gedanken und machte sich auf den Weg zur Cafeteria. Der Bericht konnte noch eine halbe Stunde warten. Zuerst brauchte er etwas Kühles zum Trinken.
Unterwegs begegnete er Li Johansen. Sie war Expertin für Virenerkrankungen und Pandemien und arbeitete als Kontaktperson des deutschen Krisenstabs dauerhaft in Hongkong. Auf der Rundreise durch Guangdong hatte sie ihn begleitet. Ihr Gesichtsausdruck war ernst.
„Das hier ist eben per Fax angekommen. Ich glaube, es ist soweit. Sie haben einen kranken Schwan auf Rügen entdeckt. Du sollst sofort zurück nach Deutschland fliegen.“
Krentler nahm das Fax. Es kam vom Robert-Koch-Institut. Quer über der ersten Seite war außer der Absender- und Empfängeradresse nur ein Wort gedruckt: Dringlich!
„Wann ist das gekommen?“
„Vor zwanzig Minuten. Außerdem hat Meyer angerufen. Dein Flug geht heute abend um zehn von Hongkong International. Das Ticket liegt am Lufthansa-Schalter bereit. Der Hubschrauber bringt dich zum Flughafen. Dein Gepäck habe ich schon aus dem Hotel holen lassen.“
„Was ist mit meinem Bericht? Er ist noch nicht fertig. Die fünf Enten aus Guangdong müssen noch obduziert werden. Diese Proben sind der Hauptgrund für die ganze Expedition. Warum haben die es plötzlich so eilig?“
„Keine Ahnung. Aber Meyer klang aufgeregt am Telefon. Ich glaube, am liebsten hätte er dich schon seit gestern in Berlin.“
„Meyer hat doch keine Ahnung. Der kriegt schon die Panik wenn in seiner Nähe jemand niest.“
„Er sagt, Minister Sandhofer hat dich in den Krisenstab berufen und
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