Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Kraft kam der Schwan auf sie zu. Sanft schob er den weichen Hals über ihre Hand und legte den Kopf in ihren Schoß. Das Brot fiel ihr aus der Hand. Die gebrochenen Augen des Schwans blickten sie an. Dann schlossen sich die Lider. Eine Träne tropfte ins Wasser.
7
Krentler schaltete den Fernseher aus. In den Nachrichten war die Grippe wieder nach hinten in die Kurzbeiträge gerückt. Der große Streik im Süden war das Hauptthema. Wie gut, dass sie das nicht verknüpft haben, dachte Krentler, und dass es noch keine kranken Müllratten gibt.
Der Minister hatte ihn am Morgen über die Keulung auf Rügen informiert. Er war erstaunt, dass darüber nicht berichtet wurde. In diesem Fall hatte die Informationspolitik ausnahmsweise funktioniert. Den Bauern hatte man großzügig abgefunden. Überhaupt war es eine Meisterleistung, auf dem schmalen Grat zwischen Panikmache und Beschwichtigung gerade so viel Aufmerksamkeit zu erzeugen, dass keine Panik entstand, aber alle über die Vogelgrippe redeten.
Nachdem die erste Katze auf Rügen am Grippevirus gestorben war, hatte Sandhofer sofort verkündet, das Virus sei einen Schritt näher an den Menschen gerückt. Und auch wenn die Experten dies als übertrieben zurückwiesen – er hatte recht. Nur nicht so, wie er es sich dachte. Die Mutation, die das Virus in die Katze gebracht hatte, war für den Menschen nicht gefährlich. Gefährlich war, dass es den Sprung geschafft hatte. Und dass es ihn jederzeit wiederholen konnte.
Ralsmann betrat den Raum. Er hatte darauf bestanden, ihn vor der Entlassung noch einmal zu untersuchen. Krentler hustete noch, fühlte sich aber auf dem Weg der Besserung. Ralsmann maß den Blutdruck und horchte nach den Lungen. Dann gab er Krentler eine Packung Flutamil.
„Damit sie es das nächste Mal nicht bis zur Entzündung kommen lassen.“
Krentler lachte. Er hatte als Mitglied des Krisenstabs Zugang zu soviel Flutamil, wie er wollte, und erkannte das Geschenk als ironische Geste. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
8
Kalle fluchte. Er hatten den Winter fast überstanden. Und war am Ende doch krank geworden. Bestimmt hatte ihn einer von den Pennern aus dem Nachtasyl angesteckt. Hätte er doch die Nacht lieber im Freien verbringen sollen, das war fast immer besser als in dieser Miefbude. Allerdings nicht bei minus fünfundzwanzig Grad.
Er mußte husten. Angewidert spuckte er den Schleimbrocken in den Schnee. Dann spazierte er weiter. Das Blut im Auswurf bemerkte er nicht.
Der Hund, der einige Minuten später daran schnüffelte, sah Kalle noch in den Bahnhof gehen, bevor sein Herrchen ungeduldig an der Leine zog.
Kalle stieg in den nächsten Zug nach Pankow, um Zeitungen zu verkaufen. Das Plakat der S-Bahn-Werbefirma versprach beste Kontaktzahlen: Eine Million Fahrgäste sehen täglich ihre Werbung.
9
Mit einem Taxi fuhr Krentler in die Danckelmannstraße. Als er durchs Treppenhaus ging, fühlte er sich, als würde er jetzt erst richtig nach Hause kommen. Die letzten zwei Wochen seit seiner Rückkehr aus Hongkong erschienen wie ein böser Traum.
Marianne hatte ein kleines Festmahl vorbereitet. Als er die Wohnung betrat, wehte der Duft von gebratenen Zwiebeln durch den weitläufigen Flur. Aus dem Wohnzimmer drang Klaviermusik. Krentler blieb einen Moment ruhig stehen und lauschte.
Seine Tochter kam polternd um die Ecke gerannt und warf sich mit einem lauten „Papa!“ in seine Arme. Er umarmte sie innig, aber schon machte sie sich wieder los und lief zurück ins Wohnzimmer. Als er aufsah, stand Marianne am andern Ende des Gangs. Sie lächelte.
„Willkommen daheim.“
Plötzlich wurde ihm klar, wie schön sie war. Und wie lange sie sich nicht gesehen hatten. Er ging zu ihr und küsste sie.
Beim Essen sprachen sie über das Buch, das der Verlag, in dem Marianne arbeitete, herausgeben wollte. Die Kinder erzählten aus der Schule. Gabriel, Sonjas bester Freund, hatte beim Fußballturnier ein Tor geschossen und unterbrach immer wieder das Gespräch.
„Und dann, und dann bin ich gerannt, soo schnell, und der Basti hat gepasst, und alle haben gebrüllt, und ich hab volle Pulle gekickt, und dann ist der Ball voll am Torwart vorbei und voll ins Tor geknallt.“
„Is ja aufregend.“ maulte Sonja mit genervtem Gesicht und verdrehte die Augen. Seit Gabriel in der Schulmannschaft spielte, erzählte er von nichts anderem mehr. Erst recht, seit er sein erstes Tor geschossen hatte.
Sonja tanzte seit einem Jahr in der Ballettschule. In zwei Tagen war
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