Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Krawatte.
„Peenemünde ist, wie sie wissen, ein Militärstützpunkt. Dort sind Soldaten stationiert. Wir haben dort ein Übergangslabor eingerichtet, um näher an den nördlichen Rastplätzen dran zu sein. Aber das wissen sie ja. Rosen untersucht dort die Proben parallel zum RKI, weil in diesem Fall gilt: Doppelt hält besser. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen.“ Er blickte in die Runde. „Ich wünsche ihnen allen noch einen erfolgreichen Tag. Wir sprechen uns, wenn weitere Ergebnisse vorliegen. Auf Wiedersehen.“
Marianne schlief bereits, als Krentler die Wohnung betrat. Leise ging er in die Küche und machte sich ein Brot. Genüsslich schmierte er eine dicke Schicht Streichkäse auf die Brotscheibe. Wie sehr hatte er sich im südostasiatischen Dschungel nach einem guten Brot gesehnt. Später, als er im Bett lag und die Schatten beobachtete, die die Straßenlichter an die Decke warfen, dachte er an Li. Im Dschungel hatte er ihr von seiner Brotsehnsucht erzählt. Sie hatte nur gelächelt, seine Hand genommen und ihn zu einem Brotfruchtbaum geführt, in dessen Schatten sie dann gemeinsam die kühle Milch aus einer frischen Kokosnuß getrunken hatten.
23
Als Krentler am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Er machte sich einen Café und setzte sich dann an seinen Schreibtisch. Vor ihm lagen die Unterlagen, die Lohmann ihm nach der Sitzung in die Hand gedrückt hatte. Darin waren von der S-Bahn und den Großkaufhäusern bis zum Einzelbüro und zum Fahrradtaxi alle im Zusammenhang mit den Übertragungsmöglichkeiten relevanten Einzelsysteme der städtischen Infrastruktur aufgeschlüsselt. Zusammen ergaben sie das große Gesamtsystem Berlin. Die Statistiker vom Institut für angewandte Systemtheorie hatten ihre Modelle mit den möglichen Eigenschaften des Virus gefüttert, die in etwa denen normaler Grippeviren entsprachen. Der Unterschied war, dass sich H5N1/Asia vermutlich aggressiver verbreiten würde. Und noch eine zweite Eigenschaft unterschied die Asia-Variante von anderen Viren: für circa 70 Prozent der Infizierten war die Krankheit bisher tödlich verlaufen.
S- und U-Bahnen, vor allem während des Berufsverkehrs am Morgen und am frühen Nachmittag, wenn die Menschen dicht gedrängt in den Waggons standen, boten paradiesische Zustände für das Virus. Gleich danach kamen Busse und Straßenbahnen, dann die überfüllten Seminarräume und Vorlesungssäle an den Universitäten, dann Schulen und Kindergärten, große Bahnhöfe und Flughäfen, Kinos und Theater mit ihren hunderten von Plätzen, Clubs und Discos, in denen sich die Menschen schweißnass auf den Tanzflächen drängten, die überfüllten Wartesäle der Ämter, große Aufzüge in geschäftigen Bürogebäuden und die Schlangen an den Kassen der Kaufhäuser. Großstadt ist da, wo das Leben am dichtesten ist, dachte Krentler, ohne sich erinnern zu können, wo er das gehört oder gelesen hatte.
Am sichersten war es für den, der alleine in einem Haus wohnte, vor der Haustür ins Auto stieg, in sein Einzelbüro fuhr, das Mittagessen dabei hatte und auch sonst keine Menschenseele zu Gesicht bekam. Wenn es so eine Person in dieser Stadt überhaupt gab.
Was die Papiere vermissen ließen, war ein konkretes Szenario. Krentler schaltete seinen Rechner ein, um Lohmann eine e-mail zu schreiben und sie darauf hinzuweisen. Im Ernstfall blieb für die Planung einer Reaktion keine Zeit – dann konnte man nur noch vorher vorbereitete Szenarien durch- und mitspielen. Denn nicht die Menschen gaben bei diesem Spiel den Takt vor, sondern das grausame Bündnis zwischen Natur und moderner Transporttechnik.
Von draußen drang inzwischen das graue Licht eines verregneten Morgens durch die Fenster. Krentler schaltete den Computer aus und ging in die Küche, um für Marianne ein Frühstück zu bereiten. Wann hatten sie sonst schon das Vergnügen, gemeinsam zu frühstücken, dachte er und konnte sich ein bitteres Lächeln nicht verkneifen.
Beim Bäcker holte er frische Croissants und die Zeitungen. Das erste Titelbild zeigte eine Gruppe von Soldaten, die Müllberge beseitigten. Auch die anderen Titelseiten bezogen sich entweder auf diesen Einsatz oder auf den Fund des Vogelkadavers in Berlin, dessen genauen Fundort die Verwaltung nach eigenen Angaben nicht kannte. Oder nicht mitteilen will, dachte Krentler. Man hatte den gesamten Bezirk unter Quarantäne gestellt. Nicht einmal mehr die Hunde durften dort frei herumlaufen.
Marianne schlief noch, als er mit Croissants
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