Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Sirenengeheul kam näher. Ein Polizeiauto bog um die Ecke, gefolgt von einem schwarzen Jeep. Der penetrante Ton des Martinshorn schmerzte Krentler in den Ohren. Der Jeep kam mit quietschenden Reifen fünf Meter vor Krentler zum Stehen. Die Beifahrertür wurde aufgedrückt. Franzen sprang heraus. Mit gezogener Waffe ging er auf Krentler zu und baute sich vor ihm auf. Die Pistole zielte auf Krentlers Bein. Hinter ihm stiegen zwei weitere schwarz gekleidete Männer aus dem Jeep. Die Polizisten blieben in ihrem Auto sitzen.
„So mein Freund“, sagte Franzen, „Schluss mit den Spielchen. Geben sie mir das Serum. Sofort.“
Krentler starrte ihn an. Franzen trug eine Sonnenbrille. Aber unter den Rändern konnte Krentler die Rötung der Haut sehen, die von Lis Kampfsprayeinsatz stammte. In der Tasche spürte er die Phiole. Er holte sie hervor und hielt sie mit ausgestrecktem Arm über das Geländer.
„Wenn sie das tun, schieße ich sie tot.“ sagte Franzen mit leiser Stimme.
Krentler ließ die Phiole fallen. Mit einem leisen Platschen versank sie im Fluss. Im selben Moment traf Franzens Faust Krentler in die Magengrube. Er sackte zusammen. Franzen packte ihn, zog ihn wieder hoch und drückte ihn gegen das Geländer. Krentler spürte, wie sich das kalte Metall gegen seine Wirbelsäule drückte.
„Das hätten sie nicht tun sollen, Doktor Krentler.“ sagte Franzen.
Der Druck nahm zu. Krentler schüttelte den Kopf.
„Bitte..“ Angst schnürte ihm die Kehle zu. Verschwommen sah er, wie aus dem Haupteingang des Fernsehgebäudes ein Kamerateam auf die Straße trat. Der Druck ließ nach. Franzen hatte sie auch gesehen.
„Ich rate ihnen, verhalten sie sich ruhig.“ sagte er. Dann ging er zurück zum Auto. Krentler hörte, wie er einen Taucher anforderte. Das Kamerateam kam näher. Auf ein Zeichen von Franzen wendeten die Polizisten ihr Auto und fuhren davon. Franzen stieg in den Jeep. In Krentlers Richtung gewandt legte er den Zeigefinger auf die Lippen. Dann preschte der Jeep davon. Krentler ließ sich auf den Boden sinken.
*
Als er die Augen wieder aufschlug sah er über sich verschwommen ein Gesicht. Instinktiv hob er die Arme zum Schutz.
„Ruhig, Doktor Krentler, ich bin’s nur, Sabine Kolk, von der Berliner Zeitung. Sie erinnern sich doch?“
Aus Krentlers Körper wich die Anspannung. Ein heiserer Seufzer entrang sich seiner Kehle. Auf den Lippen spürte er den metallischen Geschmack von Blut. Sein Bauch schmerzte als hätte er mehrere Tage lang ein zentnerschweres Gewicht darauf balanciert. Mühsam richtete er den Oberkörper auf und lehnte sich ans Geländer. Die Journalistin stützte ihn.
„Die haben sie ja mächtig in die Mangel genommen. Und die Polizei stand nur dabei. Was waren das für Typen?“ fragte sie.
„Interessiert sie das beruflich oder privat?“ Krentler ächzte. Er presste beide Arme auf den Unterleib, um den Schmerz zu lindern. Es half nicht.
„Das kann ich in diesen Tagen nicht so leicht voneinander trennen.“ sagte Kolk. „Die Menschen sterben an der Grippe und einer unserer Experten wird am hellichten Tag unter Aufsicht der Polizei zusammengeschlagen. Warum?“ Sie hielt kurz inne. „Ich denke, das interessiert mich vor allem beruflich.“
„Dann kann ich ihnen leider nicht behilflich sein.“
„Privat interessiert mich eher: Sind sie verletzt? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“
Krentler blickte die Straße entlang. Es war niemand zu sehen. Auch das Kamerateam war verschwunden.
„Es geht schon.“ Er versuchte aufzustehen. Mit einer Hand zog er sich am Brückengländer hoch, die andere hielt er weiter auf den Bauch gepresst. Die Schmerzen ließen langsam nach.
„Steht ihr Auto in der Nähe?“ fragte er die Journalistin.
Sie nickte und zeigte auf den schwarzen Volvo, der an der gegenüberliegenden Straßenseite neben einem der zahlreichen Schrotthaufen stand.
„Können sie mich vielleicht doch ins Krankenhaus fahren? Ich muss zurück in die Charité.“
Kolk nickte.
Unterwegs fragte die Journalistin Krentler nach den Hintergründen des Zwischenfalls. Krentler bestätigte die Existenz des Geheimlabors und schilderte die Verbindungen zu Lacroche. Von seinem Ausflug nach Peenemünde erzählte er nichts. Kolks Augen leuchteten dennoch. Bevor er ausstieg, versprach er ihr, sie auf dem Laufenden zu halten.
49
Krentler traute seinen Augen nicht, als er aus dem Fahrstuhl trat. Auf dem Gang, der zu Ralsmanns Büro führte, lagen hunderte Bücher verstreut. Direkt neben der Bürotür
Weitere Kostenlose Bücher