Virus
eingekleidet hatte, begab sich Marissa zum nächsten Fall, der Mitarbeiterin aus der Registratur, die Helen Townsend hieß. Marissa wiederholte alle Maßnahmen wie bei Dr. Richter, einschließlich der Suche nach einem Hautausschlag. Auch Helen hatte einen schwachen Ausschlag am Körper, aber keinen roten kreisförmigen Fleck auf der Wange und auch sonst nirgends. Sie schien weniger schwer erkrankt als Dr. Richter, aber keiner der Patienten schien kräftig genug zu sein, um Fragen an Marissa zu stellen, als sie die Untersuchungen und Probenentnahmen machte. Lediglich Alan Moyers brachte die Kraft auf, Einwände vorzubringen. Zunächst verweigerte er die Blutabnahme, ehe Marissa ihm gesagt habe, wie denn nun ihre Diagnose laute. Er war in Panik. Erst als Marissa ihm wahrheitsgemäß erklärt hatte, sie wisse wirklich noch nicht, was er eigentlich habe, und gerade deshalb müsse sie ja die Untersuchungen machen, gab er schließlich seinen Widerstand auf.
Was den Affen betraf, so machte Marissa erst gar nicht den Versuch einer Blutentnahme bei ihm. Der Tierpfleger war an diesem Tag außer Haus, und sie hatte keinesfalls die Absicht, es allein mit dem Tier aufzunehmen. Der Affe wirkte zwar durchaus gesund, aber freundlich war er keineswegs. Er fletschte die Zähne und bewarf Marissa durch die Gitter seines Käfigs mit Unrat.
Marissa verpackte alle Proben sorgfältig, überprüfte, daß alle Schraubverschlüsse dicht waren, und brachte dann die Sendung persönlich zum Flughafen, um sie dort auf den Weg nach Atlanta zu schicken. Sie war erleichtert, als man ihr versicherte, sie würden beim nächsten Nonstopflug mitgenommen.
Wieder in die Richter-Klinik zurückgekehrt, machte Marissa einen Abstecher in die kleine Klinikbücherei. Es fanden sich dort ein paar Standardwerke mit Kapiteln über Viruserkrankungen, und sie überflog rasch die entsprechenden Ausführungen über Lassa-Fieber sowie den Marburg- und den Ebola-Virus. Dann konnte sie Dr. Dubcheks erregte Reaktion am Telefon besser nachempfinden – es waren die tödlichsten Viren, die dem Menschen bisher bekannt waren.
Bei ihrer Rückkehr in den fünften Stock stellte Marissa fest, daß alle acht Patienten inzwischen abgesondert in einem abgeschlossenen Trakt untergebracht worden waren. Die erbetenen Unterlagen über die ambulanten Patienten hatte man ihr inzwischen auch beschafft, und Marissa begann, nachdem sie bei der Zentrale um einen Rückruf Dr. Navarres gebeten hatte, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Als erstes nahm sie sich die Unterlagen über Harold Stevens, den Immobilienmakler, vor. Sie begann von hinten und stellte sofort fest, daß die letzte Eintragung sich auf eine Untersuchung durch Dr. Richter bezog. Stevens litt an einem chronischen Glaukom und war bei Dr. Richter in regelmäßiger Behandlung. Seine letzte Untersuchung hatte am 15. Januar stattgefunden, vier Tage vor seiner Einlieferung in die Klinik.
Mit einem Gefühl wachsender Sicherheit überprüfte Marissa in allen fraglichen Fällen die letzte Eintragung. Jawohl, das war’s – jeder der Patienten hatte am 15. oder 16. Januar mit Dr. Richter zu tun gehabt. Ausnahmen waren nur Helen Townsend, die Mitarbeiterin aus der Registratur, und Alan Moyers vom Labor. Auf Helen Townsends Karteiblatt über ambulante Behandlungen fand sich als letzte Eintragung die fachärztliche Untersuchung wegen einer Blasenentzündung. Bei Alan Moyers war der letzte Arztbesuch im vergangenen Jahr wegen einer Knöchelverstauchung erfolgt, die er sich bei einem Basketballspiel unter Klinikmannschaften zugezogen hatte. Mit Ausnahme dieser beiden also bestand der schwerwiegende Verdacht, daß Dr. Richter die Verursacherquelle der Krankheit war.
Die Tatsache, daß er mit fünf der Patienten Kontakt hatte, unmittelbar bevor bei ihm die Krankheitssymptome auftraten, mußte von entscheidender Bedeutung sein.
Die Erkrankung des Laboranten konnte sich Marissa damit erklären, daß dieser sich offenbar an einer infizierten Nadel angesteckt hatte; was Helen Townsend betraf, so tappte sie zunächst noch im dunkeln. Sie mußte irgendwie schon früher im Laufe der Woche Kontakt mit Dr. Richter gehabt haben – die Symptome waren bei ihr ziemlich genau achtundvierzig Stunden später als bei dem Augenarzt aufgetreten. Vielleicht hatte dieser sich zu Beginn der Woche eine Zeitlang in der Registratur aufgehalten.
Marissa wurde in ihrem Grübeln von der Stationsschwester unterbrochen, die ihr ausrichtete, Dr. Navarre hätte darum
Weitere Kostenlose Bücher