Visby: Roman (German Edition)
in die Küche und durch die Hintertür ins Freie. Es war kühl geworden. Der Mond segelte zwischen eiligen Wolken. Ich tastete mich an der Hauswand entlang, in Hausschuhen durchs feuchte Gras, um die Ecke und weiter zur Vordertür. Das Licht über dem Eingang brannte, der Holunderstrauch neben der Vortreppe warf einen langen Schatten in meine Richtung, aber von dort aus konnte ich nicht genug sehen. Ich trat zwei Schritte vor, auf die Rasenfläche hinaus, bis ich die Einfahrt überblickte.
Die Männer bemerkten mich nicht. Der größere beobachtete die Haustür, der kleinere stand an der offenen Fahrertür des Lieferwagens, mit dem Rücken zu mir. Den dritten, Nilsson, sah ich nirgendwo.
Adrian war offenbar eben ausgestiegen. Der Kleinere sprach auf ihn ein, leise, so dass ich nichts verstand. Adrian hörte schweigend zu. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er ärgerlich war und seinen Ärger nicht zeigen wollte.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte er laut. Der andere sprach leise weiter. Adrian bückte sich, griff ins Auto und nahm seine Jacke vom Beifahrersitz, dann schlug er die Tür zu und schloss ab. »Sie sind an der falschen Adresse. Gehen Sie bitte. Sie wecken meine Familie.«
»Oh, wir können gern vor Ihrer Freundin darüber reden.« Der andere hob jetzt auch die Stimme. »Die freut sich bestimmt, wenn sie davon erfährt. Die Gute weiß ja nicht mal, dass Sie heute nicht bei der Arbeit waren!«
Ich rührte mich nicht. Adrian sagte leise etwas, nahm das Handy aus der Jackentasche, drückte mehrere Tasten und hielt das Gerät ans Ohr.
»Bernd? Tut mir leid, dass ich so spät störe, aber kannst du mal kurz rüberkommen? Hier sind zwei Männer, die nicht von unserem Grundstück verschwinden wollen. Kommst du? Gut. Bring den Hund mit.«
Er legte auf und sah seinem Gegenüber ins Gesicht. Der Mann wandte sich ab, klatschte mit der Hand laut auf den Kotflügel, drehte sich zu seinem Begleiter um und deutete mit dem Kopf Richtung Straße.
Sie gingen. Adrian sah ihnen nach. Ich zog mich in den Schatten zurück und tastete mich an der Hauswand entlang. Auf der Straße schlugen Autotüren. Ein Motor sprang an. Ich machte in der Küche Licht und setzte Wasser auf. Ich wollte etwas Warmes in den Händen halten, während ich mit Adrian sprach.
Aber Adrian kam nicht herein. Ich stand in der Küche und wartete, aber ich hörte nichts. Keine Schritte, kein Klappern von Schlüsseln. Als das Wasser im Kessel zu rauschen begann, trat ich in den Flur hinaus, schloss die Küchentür hinter mir und lauschte: nichts. Ich löschte das Licht im Wohnzimmer, zog den Vorhang beiseite und spähte hinaus.
Der Lieferwagen stand noch da, leer. In der Windschutzscheibe spiegelte sich die Lampe über der Haustür. Hinter dem Wagen fing die Dunkelheit an. Nirgendwo bewegte sich etwas. Ich öffnete leise das Fenster. Nachtgeräusche. Der Wind in den Bäumen. Ein Auto, weit entfernt. Ein Vogel flatterte auf. Ich schloss das Fenster, zog Schuhe an und eine Jacke über und verließ das Haus. Ging bis zur Straße vor: Sie war leer.
Warum bin ich ihm nicht gefolgt? Ich wusste, wo ich ihn finden würde: drüben am Deich. Wo wir so oft gemeinsam standen, wo wir schon so vieles besprochen hatten. Dort hätte ich ihn fragen können, was die Männer von ihm wollten. Ob er von Dhanavati gehört hatte. Ob er wusste, weshalb die Männer nach ihr suchten.
Warum habe ich nicht gefragt?
Damals, dort auf der Straße, sagte ich mir, dass es nicht unsere Art sei. Wir bedrängten uns nicht mit Fragen. Wir vertrauten einander, aber dieses Vertrauen war ein Geschenk, nichts, das man beim anderen einfordern durfte.
So schöne Worte. Und wie feige sie inzwischen klingen. Denn in Wirklichkeit war es so, dass ich gar nicht wissen wollte, in welche Schwierigkeiten sich Dhanavati gebracht hatte. Sie sollte sich nur von uns fernhalten, von meiner kleinen heilen Welt. Aber ich wusste, dass ich das nie verlangen konnte. Ich konnte nicht zu Adrian gehen und sagen: Vergiss diese Frau. Vergiss das kleine Mädchen mit den Zöpfen, für das du einmal das Einzige warst, was von ihrer Kindheit übriggeblieben war. Ich will nicht, dass du sie wiedersiehst, dass sie dich an ihre Mutter erinnert und an die Zeit auf Gotland, über die ich nichts weiß. Lass sie mit ihren Schwierigkeiten allein fertig werden. Du hast die alten Geschichten so erfolgreich begraben. Grab sie jetzt nicht wieder aus.
Ein paar Tage schien es, als ginge mein Wunsch in
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