Visby: Roman (German Edition)
und deinen Vater … «
Wie leicht ihm das über die Lippen ging. Deinen Vater.
»Mehr wirst du wohl nie herausfinden.«
Sie schwieg.
Er beugte sich vor und sah ihr ins Gesicht. »Du hast nicht vor, Nandin zu suchen, oder? Wie auch immer er sich heutzutage nennt? Sag mir, dass du nicht nach ihm suchen wirst.«
Sie lachte. »Keine Sorge. Mein Bedarf an Arschlöchern ist gedeckt. Ich mag zwar manchmal jemand vertrauen, der früher beim BND war, aber ich bin nicht lebensmüde.«
Er lehnte sich wieder gegen den Baumstamm. Sie lehnte sich an ihn. Allmählich kroch Kälte durch ihre Jacke, in ihre Ärmel, den Rücken hinauf. Nicht mehr lange, und sie würden weitergehen müssen. Irgendwohin.
Der Sache eine Richtung geben. Irgendeine.
»Dir wird kalt, oder?«
Sie antwortete nicht, sondern griff nach seiner freien Hand und zog auch diesen Arm um sich. Winkelte die Beine steil an und machte sich klein. Schloss die Augen.
Wellen plätscherten über Kiesel.
Seine Lippen berührten ihre Haare. Ihr Ohr.
»Dhani?«
Ganz leise.
»Wir sollten uns mal wieder bewegen.«
Irgendwohin.
»Du könntest mir das Labyrinth zeigen.«
Nein. Nicht jetzt. Jetzt keine Gespenster.
Sie öffnete die Augen, richtete sich ein wenig auf. »Wir könnten Laufschuhe kaufen. In Visby.«
»Laufschuhe?«
»Ich würde gerne mal wieder joggen. In Ljugarn gibt es keine.«
»Okay. Laufschuhe. Also los.«
Sie hob seine Arme an, duckte sich unter ihnen hindurch, drehte sich dabei und stand auf. Zog ihn an den Händen in die Höhe.
Er stand dicht vor ihr. Seine Hände in ihren Händen. Warm. Er roch nach Shampoo und nach etwas, das sie nur von ihm kannte. Kiefernnadeln. Vielleicht. Er sah ihr in die Augen; und dachte genau das Gleiche wie sie, denn er wurde ganz still, nur seine Augen bewegten sich, sein Blick glitt abwärts, glitt wie eine Berührung über ihren Mund, ihren Hals.
»Oder wir trinken Kaffee. Bei mir.«
Sein Blick sprang zurück zu ihrem Gesicht. Er zögerte, beugte sich vor und küsste sie. Seine Zunge streichelte ihre Lippen.
Als sie den Mund öffnete, wich er zurück. »Überleg dir lieber genau, was für Einladungen du aussprichst.«
»Das überlege ich mir immer.«
In der Hütte roch es sauber, das Bettzeug duftete frisch gelüftet.
Das Kaffeetrinken ließen sie aus.
Er hatte Gummis dabei. Er würde später nie behaupten können, sie hätte ihn überrumpelt.
Als er fort war, um drei Uhr morgens, krochen wieder Dunkelheit und Stille in die Zimmer; aber friedvoll. In der warmen Höhle unter der Bettdecke hingen noch ihre vermischten Gerüche. Auf ihrer Haut, in ihrem Mund, zwischen ihren Oberschenkeln spürte sie noch seine Berührungen. Seine Zunge, seinen Mund. Seine Hände, überall. Sein Rücken schweißnass, sein Hintern angespannt unter ihren Händen. Sein Rhythmus, der sich scheinbar ihrem anpasste und sie dann doch wieder warten ließ, und wieder antrieb; bis sie es nicht mehr aushielt und einfach losrannte, und ihn über ihren eigenen Aufruhr hinweg erst stöhnen, dann aufschreien hörte. Schwer atmen. Still werden.
Irgendwann hatten sie tatsächlich Kaffee gekocht. Später hatten sie gebratene Nudeln mit Eiern gegessen, das Einzige, was sie an Vorräten im Haus hatte. »Kein Bier?«, hatte er nach einem Blick in den Kühlschrank gefragt, ein kleines bisschen zu beiläufig.
»Kein Bier.«
Natürlich war es nur eine Sache von Tagen. Früher oder später würde er wieder nach Köln fahren. Zu Frau und Kind. Früher oder später würde auch sie wegfahren müssen, irgendwohin, ihr Leben wieder in Bewegung setzen. Irgendwie. Stellenanzeigen studieren. Ihr altes Projekt zum Abschluss bringen.
Ihr Geld zählen, zu Adrian nach Eiderstedt fahren und ihm die Kreditkarte wiedergeben. Ihre Schulden bezahlen.
Sich mit Maria auseinandersetzen.
Früher oder später. Jetzt würde sie über nichts davon nachdenken, heute nicht und morgen nicht und mit etwas Glück noch mehrere Tage lang nicht. Ihr war warm. Alle Zimmertüren waren weit geöffnet. Auf den Fensterscheiben glitzerten Regentropfen im Licht der Außenleuchte, die sie eingeschaltet gelassen hatte, als er gegangen war. In drei Stunden würde es schon hell werden.
Seit der ersten Nacht in Riga hatte sie keine Musik mehr gehört. Eglund hatte ihren iPod aufgeladen und ihr sogar ein Ladegerät mitgegeben, der fürsorgliche Papa, doch beides lag unbenutzt auf der Kommode. Sie stand auf und tastete sich hinüber, fand den iPod, legte sich wieder hin und setzte die
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