Visby: Roman (German Edition)
nach Ihnen Ausschau gehalten, das stimmt schon. Ich wollte noch mal mit Ihnen reden. Unser erstes Gespräch ist ja etwas … entgleist.«
Sie schnaubte. »Was, glauben Sie immer noch, ich hätte diesen Artikel geschrieben?«
»Nein. Ganz sicher nicht.« Ich zögerte. Ein wenig spät wurde mir klar, dass ich mir keine Strategie zurechtgelegt hatte. Ich wusste nicht einmal genau, was ich mit dem Gespräch erreichen wollte. »Schaff sie so schnell wie möglich wieder nach Århus«, hatte mein Bekannter gesagt, aber wollte ich mich da wirklich einmischen? Meine Aufgabe war es, blind seer zu finden, sonst nichts. Alles andere brauchte mich nicht zu interessieren.
Sie war stehengeblieben. »Was?«
»Es täte mir einfach leid, wenn Sie wegen dieses verunglückten Anfangs die Stelle am IAI ausschlagen.«
Sie antwortete nicht.
»Ihre Stelle am AIMSEP läuft im Herbst aus und wird nicht verlängert. Daran können Sie nichts mehr ändern. Bei uns … «
»Sie sind ja bestens informiert.«
»Was ich weiß, weiß ich von unserem Direktor und von Steffen Wiebecke. Bei uns könnten Sie am selben Projekt weiterarbeiten. Praktisch ohne Unterbrechung. Die Alternative wäre, irgendwo anders ganz von vorn anzufangen. Das sollten Sie sich gut überlegen.«
Wieder schwieg sie eine Weile. Ich nahm den Karton unter den anderen Arm. Sie warf einen Blick darauf. »Können wir vielleicht irgendwo ein Bier trinken?«, fragte sie unvermittelt. »Wenn wir jetzt im Hotel auftauchen, stürzt sich Maria auf mich, dann komme ich überhaupt nicht mehr zum Nachdenken.«
Ich fragte mich, woher sie wusste, dass Maria Kingsley in der Gaststube wartete. Aus jahrelanger Erfahrung vermutlich. »Ja klar, gern. Schlagen Sie etwas vor. Sie sind hier zu Hause.«
Sie blickte sich flüchtig um, als wäre ihr der Gedanke noch nie gekommen. »Sie sind alle gleich schlimm.« Doch dann machte sie kehrt und steuerte auf eine Seitenstraße zu.
Die Kneipe war klein und fast leer. Am Tresen hockten drei Männer und unterhielten sich mit dem Wirt, an einem Tisch saßen zwei ältere Frauen. Alle blickten uns entgegen. Die Gespräche verstummten. Dhanavati sagte laut »’n Abend allerseits« und ging zu einem Tisch in der entferntesten Ecke. Wir setzten uns. Ich schob den Karton hinter meinem Stuhl an die Wand. Der Wirt kam. Wir bestellten Bier. Dhanavati drehte sich eine Zigarette und zündete sie an, stützte die Ellbogen auf und sah mir ins Gesicht.
»Das IAI betreibt Rüstungsforschung.« Ich wollte sie unterbrechen. Sie wedelte mit der Zigarette. »Ja, ich weiß. Alles rein defensiv. Finden Sie den Unterschied wirklich so groß?«
»Natürlich ist der groß. Mir wäre es auch lieber, wenn wir ganz ohne Rüstung auskämen, aber so lange andere Länder – und neuerdings nicht nur Länder – genug Waffen besitzen, um uns alle umzubringen, möchte ich dem schon etwas entgegensetzen können.«
Sie hörte mir zu, aber mit einem solchen Ausdruck gequälter Geduld, dass ich es nicht über mich brachte weiterzureden.
»Ja, ja«, sagte sie, »ich weiß, ich weiß. Darf man fragen, wie lange Sie bei der Bundeswehr waren?« Und als ich nicht gleich reagierte: »Na?«
»Zwölf Jahre.«
»Das ist die Höchststrafe, oder?«
»Es gibt auch lebenslänglich. Woher wussten Sie … «
»Die Aura des Kämpfers.«
»Das ist ja wohl der größte Blödsinn … «
Sie grinste. »Haben Sie bei der Bundeswehr studiert?«
»Geowissenschaften.«
»Und danach haben Sie den Frieden gesichert. Wieso haben Sie aufgehört?«
»Aus persönlichen Gründen.«
Sie warf einen Blick auf meinen Ehering. »Und das Persönliche lassen wir natürlich ganz aus dem Spiel.«
»Wieso reden wir eigentlich über mich? Eben ging es noch um die Frage, ob Sie ans IAI wechseln oder … «
»Wie soll ich entscheiden, was von Ihrem Rat zu halten ist, wenn ich nichts über Sie weiß?«
Sie blies Rauch zur Decke und sah mich an. Ohne zu lächeln. Als würde sie gespannt auf meine Antwort warten. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, ob sie wirklich einen Rat von mir wollte – von jemandem, den sie seit fünf Stunden kannte – oder nur neugierig war, wie weit ich mich aufs Glatteis locken ließ.
»Ich möchte nur nicht, dass Sie sich aus der Verärgerung heraus eine Chance verbauen«, sagte ich schließlich und kam mir wie mein eigener Großvater vor. »Einen echten Rat kann ich Ihnen nicht geben. Ich an Ihrer Stelle fände es attraktiv, ans IAI zu wechseln, aber ob das auch für Sie die
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