Visby: Roman (German Edition)
schweigend an. Dann lächelte er. Kleine, ebenmäßige Zähne kamen zum Vorschein. »Erst mal nur einen Eindruck verschaffen. Ob es überhaupt Sinn macht, sie über unseren internationalen Freund auszufragen. Vielleicht weiß sie ja gar nichts. Oder sie haben so engen Kontakt, dass wir ihn aufscheuchen, wenn wir sie ansprechen. Beides wäre gar nicht gut, oder?«
»Ihr glaubt im Ernst, dass dieses Mädel im internationalen Waffengeschäft mitmischt?«
Wieder ließ sich Nagel mit der Antwort viel Zeit. Vermutlich konnte er kaum glauben, dass ich wirklich derart ahnungslos war. Dass ich nicht längst erraten hatte, was sie planten.
»Man steckt nie drin, oder?«, sagte er schließlich leichthin. »Wir versuchen gerade, mehr über den Absender der Mail rauszufinden. Diesen Lee, wie er sich nennt.« Er beobachtete mein Gesicht. Dann lächelte er, noch strahlender als vorher. »Aber jetzt erzähl mal von Marsberg. Was wollte sie da? Ist sie deine Artikelschreiberin?«
»Ist sie nicht, nein. Sie weiß viel zu wenig über unser Projekt. Und die Fahrt nach Marsberg war Zeitverschwendung. Sie hat Verwandte besucht. Ein paar Sachen geholt, die einmal ihrer Mutter gehört haben. Nichts Interessantes.«
Diesmal fiel mir auf, wie schmal und spitz sein Gesicht plötzlich wurde. Aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Ich wunderte mich nur flüchtig, weshalb ihn ausgerechnet der Pappkarton aus der Reinerts’schen Garage so faszinierte. Denn das tat er: Nagel ließ sich zweimal beschreiben, was ich vom Inhalt des Kartons zu Gesicht bekommen hatte. Auch die Szene am Garagentor musste ich ihm genau schildern.
Als ich fertig war, zögerte er so übertrieben, dass es nicht einmal mich überzeugte, und sah seinen Kumpel an. »Na, ich denke mal, wir werden einfach mit ihr reden, was, Schulz?« Schulz antwortete nicht, und Nagel wandte sich wieder mir zu. »Kannst du da vielleicht was arrangieren? So um der alten Zeiten willen?«
Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was er tatsächlich plante – er fing an, mir auf die Nerven zu gehen. »Kommt doch einfach mit ins AIMSEP . Da findet sich schon eine Gelegenheit.«
Er lächelte nachsichtig, ganz der höfliche Kollege, der einem nie ins Gesicht sagen würde, dass man Unsinn redet. »Na, das wäre vielleicht doch ein bisschen zu öffentlich. Nein. Ich denke, wir sollten sie zu Hause besuchen. Was, Jens? Nach Feierabend. Wir treffen uns hier und fahren zusammen hin, du stellst uns vor, wir reden ein bisschen, und dann sehen wir weiter.«
Dann sehen wir weiter. Das sagte er wörtlich. Und ich – begriffsstutzig, wie ich war – stimmte zu. Ich dachte, es könnte nicht weiter schaden. Es wäre die schnellste Methode, die zwei loszuwerden. Wenn sie Dhanavati kennenlernten, würden sie schnell merken, dass die junge Frau nichts von Waffenhandel verstand. Selbst jemand wie Nagel würde das begreifen. Außerdem würde ich die ganze Zeit dabei sein. Es konnte also gar nichts passieren.
Letztlich läuft alles auf eines hinaus: Ich habe Nagel unterschätzt. Von allen Fehlern, die mir unterliefen, war das sicher der verheerendste.
Die nächsten paar Stunden lassen sich kurz zusammenfassen – ich nehme kaum an, dass Sie sich noch sehr für meine Suche nach blind seer interessieren, und das war das Problem, dem ich mich wieder zuwandte. Ich vermutete den Artikelschreiber nach wie vor in Århus. Am Ende des Vormittags hatte ich ihn gefunden.
Eine Hündin brachte mich auf die richtige Spur. Timo Helms riesige, freundliche Katta. Ich entdeckte ihr Foto, als ich mir die Website des AIMSEP noch einmal genauer anschaute. Ein Link auf der Seite mit Helms Selbstdarstellung führte mich zu einer Website für Hundebesitzer, und dort saß sie. In einem Fahrradanhänger.
Von dem zugehörigen Fahrrad war gerade so viel im Bild, dass man die vollgepackten Satteltaschen erkannte. Und aus dem zugehörigen Artikel ging hervor, dass Timo Helm mit dem Rad bis nach Skagen gefahren war und seine Hündin in einem eigens umgebauten Fahrradanhänger mitgenommen hatte. Offenbar hätte selbst Katta nicht die ganze Strecke zu Fuß geschafft. Ein gemütliches Bild, oder? Der kräftige, unerschütterlich freundliche Helm, schwitzend auf dem mit Zelt und Kochgeschirr beladenen Fahrrad. Und dahinter die sicherlich dreißig Kilogramm schwere Katta, wie sie in ihrem Wagen lag und entspannt die Nase in den Wind hielt.
In dem Artikel erwähnte Helm ganz am Schluss, dass er im September mit derselben Ausrüstung zu
Weitere Kostenlose Bücher