Visby: Roman (German Edition)
einer Konferenz der WRI in Odense fahren wollte. Zwei Sekunden Recherche, dann wusste ich, dass WRI in diesem Fall für War Resisters’ International stand, einen internationalen Verband von Kriegsdienstgegnern.
Da hatte ich also meinen Friedensaktivisten. Den Leiter von Marias IT -Gruppe. Bestens über alles informiert, was mit Marias Datensammlungen zu tun hatte – folglich auch über Steffens Projekt, bei dem diese Daten als Grundlage für Epidemiemodelle benutzt werden sollten.
Ich ging ins AIMSEP und unterhielt mich mit ihm. Das Gespräch verlief genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Helm hörte geduldig zu, während ich ihm auseinandersetzte, warum ich ihn für blind seer hielt, und erklärte mir dann sehr freundlich, dass der Autor des Artikels erstens niemanden verleumdet hätte, da die Angaben in dem Artikel stimmten – oder wollte ich das etwa bestreiten? Und dass er selbst sich zweitens niemals dazu verpflichtet hätte, irgendwelche Geheimnisse zu wahren. Nicht einmal die des AIMSEP . Ganz bestimmt nicht die des IAI . Auf meinen Hinweis, es gebe auch so etwas wie Treuepflichten dem Arbeitgeber gegenüber, und er habe seine Chefin in eine verdammt schwierige Lage gebracht, antwortete er ruhig, das ginge aber nur ihn und seine Chefin etwas an.
Damit war eigentlich alles gesagt. Natürlich hätte ich mit der Geschichte zu Maria Kingsley gehen können. Nur glaubte ich nicht, dass sie dadurch etwas Neues erfahren hätte. Am AIMSEP geht es sehr familiär zu, und es hätte mich gewundert, wenn Mutter Maria nicht über alles, was ihre Mitarbeiter taten, bestens informiert gewesen wäre.
Mein Gespräch mit Helm fand nicht in seinem Büro statt, sondern draußen vor dem Eingang des AIMSEP . Auf einem Mäuerchen in der warmen Sonne, während Katta neben uns lag. Wir waren eben im Begriff, uns zu trennen – nicht allzu freundschaftlich: Ich hatte Helm erklärt, dass ich selbstverständlich meinen Chef über alles informieren würde, was ich herausgefunden hatte, und ihn gefragt, ob er eigentlich glaube, Frohnert würde dazu nur sagen: Kann jedem mal passieren, Maria , und die Sache auf sich beruhen lassen. Woraufhin Helm zurückgefragt hatte, ob ich wirklich so ein Arschloch sei oder mich nur wie eins benähme, weil ich glaubte, das würde von mir erwartet. In dem Moment trat Dhanavati aus der Tür.
Es war eine merkwürdige Begegnung zwischen den beiden. Sehr befangen. Katta sprang auf und lief zu Dhanavati hinüber, und sie bückte sich und zauste ihr das Fell, aber danach sahen sie und Helm sich an, als wüssten sie nicht, wie man miteinander redet. Ich war sicher, dass Dhanavati ihn noch am Abend, gleich nach unserer Rückkehr, angerufen und vor mir gewarnt hatte. Trotzdem schien Helm in ihr eine Fremde zu sehen. Eine, die letztlich nie zur Familie gehört hatte.
Schließlich deutete Dhanavati mit dem Kinn in meine Richtung und fragte Helm: »Well?«
Helm stand von der Mauer auf. »Well, I’m going back to work.«
Er marschierte an ihr vorbei zum Eingang. Im Gehen schnippte er mit den Fingern, und Katta folgte ihm nach drinnen.
Kaum dass er fort war, trat Steffen ins Freie. »Da bist du ja endlich«, sagte er auf Deutsch zu mir.
»Wieso, hast du mich gesucht?«
Er antwortete nicht, sondern sah mich nur an, als müsste ich seine Gedanken lesen. »Dein Handy war ausgeschaltet«, sagte er schließlich.
»Ich war beschäftigt. War denn irgendwas Wichtiges?«
Er sah mich immer noch an, als wollte er mich hypnotisieren. Dann schüttelte er den Kopf.
»Wir wollten gerade essen gehen«, sagte Dhanavati. »Dein Kollege wollte dich fragen, ob du mitkommst.«
»Gute Idee. Wo geht’s hin?«
Sie zeigte quer über die Wiese auf ein flaches Gebäude mit Terrasse. Ein schmaler Plattenweg führte an einem Teich entlang hinüber. Dhanavati ging voran, ich folgte.
»He, wartet mal.«
Wir drehten uns um. Steffen stand noch vor dem Eingang des AIMSEP . Rot im Gesicht.
»Mir ist grade eingefallen, dass ich unbedingt meine Mails checken müsste. Kann ich das von deinem Rechner aus machen, Dhani?« Seine Stimme war flach und viel zu hoch. »Ich warte auf ein bestimmtes Dokument, und wenn das nicht da ist, muss ich den Absender mahnen. Ich brauche es, um weiterzukommen.«
Es war die unüberzeugendste Lüge, die mir je begegnet war. Wieso hatte er die Sätze nicht wenigstens vorher geübt? Und wieso, zum Teufel, wollte er schon wieder für fremde Leute schnüffeln gehen? Denn dass er das vorhatte, war
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