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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Umworbenwerden schließlich nein sagte, drohte er ihr, jeden potentiellen neuen Arbeitgeber von dem Vorfall zu unterrichten. Er wird fest damit gerechnet haben, dass sie daraufhin nachgeben würde, doch anscheinend rümpfte sie nur die Nase wie über einen widerwärtigen Geruch. Da griff er zum nächsten, noch hässlicheren Druckmittel. Aber davon erfuhr ich erst, als Schulz mich um zwei Uhr nachts anrief.

DHANAVATI
    Es gibt es noch, es ist alles noch da, hier, die Fliesen unter den Knien – nein, nicht schreien, nicht wieder schreien, sie kommen nicht, sie lachen, sie warten und lachen, niemand im Haus, sie wären längst da … Nicht wieder nach innen – dunkel – kein Ort – es ist alles noch da, fühl die Fliesen, die Kanten, die Ecke, zwei Kanten, zwei über Eck, zwei linear unabhängige Vektoren spannen eine Fläche auf, drei einen Raum … folg dieser Kante mit der Hand, nein, du hast nicht die Richtung verloren, nein, es kann nicht weit sein, weiter, weiter … Querschiene, Metall: Das ist sie, rutsch rüber, Stirn gegen Holz … lackiert, weiß lackiert ist sie, leuchtend weiß und ich seh nichts … Nichts. Da ist nichts Dimension Null ein Punkt keine Ausdehnung kein Atem kein Platz für den Atem drückt nach innen keine Luft Lüftungsschlitze aber keine Luft kein Platz nein nein!
    Nicht wimmern. Hör auf zu wimmern! Sie sitzen draußen sie lachen sie dösen in deinen Sesseln. Steh auf. Doch. Steh auf. An der Türfläche nach oben. Handflächen. Hörst du es rascheln? Es ist alles noch da. Schwarz aber da. Auch Luft doch auch Luft. Aufstehen. Fuß. Fuß. Strecken. Aufrichten. Kühl an der Wange. Jetzt umdrehen. Rücken an die Tür. Doch. Es ist alles noch da. Drei Vektoren spannen einen Raum auf. Tür: Höhe. Tür: Breite. Fliesenkante: von der Tür weg. Folg ihr mit dem Schuh. Du spürst sie. Die Kante der Sohle verhakt sich darin. Folg ihr. Lass die Tür los und folg. Drei Vektoren einen Raum alles vorhanden du hörst es doch tropfen! Da willst du hin. Waschbecken. Spiegelschrank. Feile Nagelschere Cremetiegel. Gleich bist du da, mach einen Schritt … einen Schritt! Jeder Ort im dreidimensionalen Raum ist durch eine Linearkombination dreier Vektoren erreichbar … Aber wenn man die Richtung verliert? Wo ist meine Hand? Weg einfach weg wie weit entfernt in einem Raum ohne Metrik ist der Begriff Entfernung ohne Bedeutung … Porzellan. Da. Porzellan. Fest. Halbrund. Fest aber kein Raum kollabiert kein Raum
    Du musst dich bewegen. Doch. Festhalten. Anlehnen. Tasten. Metall. Wand. Hinauf. Weiter. Tropft. Weiter. Flach. Keine Luft. Kein Raum … Wo war der Schalter? Spiegelschrank! Da! Außen! Rechts! Da, Plastik, er hat sich bewegt bewegt klickt klickt tropft schwarz bunt Funken tropft splittert. Raus! Ich muss raus! Raus! Macht auf! Schlagt die Tür ein! Bitte macht Licht, Licht, hört auf, Licht, hört auf hört auf!
    Licht. Da ist Licht. Grau. Fliesenboden. Flächen und Ritzen. Vor ihren Knien. Licht. Durch die Lüftungsschlitze der Tür endlich Licht. Goldsilbern in den Kanten der Scherben. Es brennt in der Hand. Dunkel. Schmierig. Brennt und pocht. Tropft. Da. Flecken zwischen den Scherben.
    Das Schloss knackt. Steh auf. Kann nicht. Du musst raus, wenn sie öffnen. Grelles Licht direkt in die Augen.
    Der Breite. Er flucht. Er schaltet das Deckenlicht ein.
    Überall Blut.
    Sie blieb knien. Sie stießen die Scherben mit dem Schuh aus dem Weg. Packten sie unter den Armen und zogen sie hoch. Hielten ihre Hand unters Wasser. Wickelten ein Handtuch darum. Fanden Verbandszeug im Spiegelschrank, nahmen das Handtuch weg, legten eine Kompresse auf und wickelten den Verband darum. Ihr war schlecht. Sie kotzte ins Waschbecken. Sie flüsterten in ihrem Rücken. Sie fassten sie jeder an einem Arm und brachten sie hinüber ins Wohnzimmer zu ihrem Sessel.
    Der Breite telefonierte. Sie drückte sich in den Sessel. Ihr war kalt. Durch die Balkontür wehte es herein. Jemand schob eine Tasse in ihre unverbundene Hand, es schwappte heiß auf ihre Finger. Der Kleine nahm ihr die Tasse weg und hielt sie ihr an die Lippen.
    Sie trank. Tee. Noch einen Schluck. Heiß und süß. Der Kleine legte ihr etwas um die Schultern, ihre Jacke, sie kannte den Stoff, den Geruch. Sie hörte sich atmen. Ihr Gesicht war nass. Sie nahm ihm die Tasse weg und trank. Er saß neben ihr auf der Armlehne, seine Hand lag auf ihrer Schulter.
    Sie würden es wieder tun. So oft sie wollten. Wann immer sie nein sagte. Nicht schnell genug ja sagte.

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