Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
Vom Netzwerk:
sie offensichtlich Hilfe braucht.«
    Zum ersten Mal wandte er kurz den Blick ab: Die Nachricht hatte ihn überrascht. »Adrian Barnes ist zu Frau Reinerts gefahren?«
    »Ja.«
    »Und er hat Ihnen gesagt, dass sie Hilfe braucht?«
    »Das nicht, nein. Aber er wäre nicht so plötzlich weggefahren, wenn es nicht um etwas Wichtiges ginge.«
    Und nun klangen meine Worte auch in meinen Ohren naiv. Das Dummchen vom Land, dem niemand je etwas erklärt. Nicht einmal der eigene Liebste. Weil alle wissen, dass sie doch nichts Hilfreiches beitragen könnte. Und die nun ausgerechnet von diesem wichtigen, vielbeschäftigten Mann verlangt, er solle ihr erklären, was in der großen Welt vorgeht.
    Er sah mir wieder ins Gesicht. Und er zögerte mit der Antwort, als könnte er sich nicht entscheiden, wie er seine Verachtung am besten in Worte fassen sollte. »Habe ich das jetzt richtig verstanden: Er ist abgereist, ohne Ihnen zu sagen, was er vorhat?«
    Ich räusperte mich. »Ja. Genau.«
    »Und jetzt wollen Sie, dass ich ihn für Sie finde. Habe ich recht? Sie wollen mir einen Tipp geben, wo Frau Reinerts ist, in der Hoffnung, dass ich ihm auf die Spur komme. Ob Sie Frau Reinerts damit helfen oder noch mehr in Schwierigkeiten bringen, ist Ihnen egal – Hauptsache, ich finde für Sie heraus, wo Ihr Freund steckt, und schicke ihn zu Ihnen zurück. Also was soll dann dieses Getue? Wieso geben Sie mir nicht die Information, die Sie angeblich haben, und überlassen alles Weitere mir?«
    Ich fand lange keine Antwort. Denn er hatte recht – in jedem Punkt hatte er recht. Ich wollte überhaupt nicht wissen, was Dhanavati zugestoßen war. Ich wollte nur, dass Adrian zurückkam, dass er Dhanavati wieder vergaß, dass er ihre Mutter und die Zeit auf Gotland und die alten Geschichten dort ließ, wo er sie vor über zwanzig Jahren begraben hatte. Es war eine ungeheure Versuchung, genau das zu tun, was Nilsson vorschlug. Ihm einfach zu sagen, wo Dhanavati sich aufhielt, ohne jede Gegenleistung. Dann konnten er und seine Freunde in Ruhe ihre Geschäfte mit ihr regeln, was immer das für Geschäfte waren. Und Adrian würde einsehen, dass er nichts mehr für sie tun konnte. Er würde zu mir zurückkehren. Ganz von allein.
    »Weil ich Ihnen nicht traue«, sagte ich. »Sie haben recht: Dhanavatis Probleme sind mir egal – aber Ihnen ist Adrian egal. Was aus ihm und mir und Nina wird, kümmert Sie einen Dreck. Sie wollen nur Ihre unverzichtbare Dhanavati finden. Aus welchen Gründen auch immer.«
    Ganz kurz flackerte in seinem Blick etwas auf, das ich nicht verstand. »Wer ist Nina?«
    »Unsere Tochter.«
    Ich stand auf, goss meinen Kaffee in den Ausguss, spülte die Tasse aus und trank Wasser. Mit dem Rücken zu ihm. Ich war erschöpft, als hätte ich stundenlang auf eine Wand eingeschlagen. Ich beugte mich über den Spülstein und wusch mir das Gesicht, nahm das Handtuch vom Haken und trocknete mich ab.
    »Ich wusste nicht, dass Sie eine Tochter haben«, sagte er.
    Ich drehte mich um. Er war aufgestanden und lehnte am Tisch, die eine Hand lässig aufgestützt, die andere in der Hosentasche. Immer noch unerträglich selbstsicher.
    »Natürlich wussten Sie das. Einer von Ihnen war im Haus, als Sie das erste Mal hier waren. Er war auch in Ninas Zimmer.«
    Er antwortete erst nach langer Pause. »Sehen Sie, das wusste ich auch nicht. Welcher von ihnen war im Haus, der Kleine?«
    Ich zuckte mit den Schultern: Was spielte das für eine Rolle? »Ich glaube, ja.«
    »War etwas verändert? Hat er etwas mitgenommen?« Ich schüttelte den Kopf. »Woran haben Sie denn gemerkt, dass er im Haus war?«
    »Ich habe ihn gerochen.«
    Er starrte mich an; dann lächelte er. Die erste spontane Reaktion, die ich bei ihm erlebte.
    »Was sind das für Leute? Für wen arbeiten sie?«
    Ein kurzes Zögern. »Fürs LKA Berlin, so weit ich weiß.«
    Berlin. Es wurde immer sinnloser. »Und Sie? Was haben Sie mit ihnen zu tun?«
    Noch ein Lächeln. Dieses war nicht mehr spontan. »Nichts. Wir sind uns früher schon mal über den Weg gelaufen, das ist alles. Hören Sie – wissen Sie, ob Herr Barnes mit Dhanavati telefoniert hat, nachdem die beiden hier waren?«
    »Telefoniert? Nein, warum? – Glauben Sie, die hören unser Telefon ab?«
    »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich versuche nur, vorsichtig zu sein. Frau Reinerts hat also nicht angerufen?«
    Ich versuchte mich zu konzentrieren. »Sie muss angerufen haben, oder? Mindestens ein Mal.« Über diesen Punkt hatte ich oft

Weitere Kostenlose Bücher