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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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über den Bahnhofsplatz und bog in die Zufahrt zum Taxihalt ein.
    Zwei Taxen standen dort. Der Wagen hielt ein Stück hinter ihnen.
    Niemand stieg aus. Vielleicht wollte der Fahrer jemanden abholen. Vielleicht wartete er auf den ersten Zug. Aber warum hatte er dann schon vorher, vor der Ampel gehalten?
    Die Beifahrertür öffnete sich. Ein Mann stieg aus. Schmal, dunkel gekleidet. Er schlug aufs Wagendach, und der Wagen fuhr an. Der Mann sah ihm nach, dann drehte er den Kopf mit einem Ruck in Richtung Bahnhofseingang.
    An dem Ruck erkannte sie ihn. Der Kleine. Der geschwätzigste der drei. Also saß der Zweite im Auto, und das Auto bog jetzt in die Straße ein, die über die Gleise hinwegführte … Und hielt. Auf dem Radweg. So dass er alle Treppen zu den Bahnsteigen im Blick hatte.
    Sie bewachten die Zugänge.
    Wo war der Dritte? Mit im Auto? Am Flughafen? In ihrer Wohnung, für den Fall, dass sie zurückkam?
    Egal. Jedenfalls weg hier. Sie kehrte um, lief durch die Grünanlage zum Rathausplatz; dort blieb sie im Schatten der Bäume stehen.
    Kein Grund zur Panik. Es gab andere Möglichkeiten. Sie konnte zum Flughafen fahren. Ein Auto mieten. Maria anrufen und fragen …
    Nein. Nicht Maria und nicht Timo. Weiter. Sie konnte auf der Frederiks Allé nach Süden laufen, bis zum Autobahnzubringer, und trampen …
    Über was für Ressourcen verfügten diese Leute? Wenn sie zum LKA Berlin gehörten – wenn sie überhaupt zu irgendeiner Behörde gehörten –, wieso standen sie dann ganz allein da unten am Bahnhof? Wieso wimmelte es nicht von Polizisten?
    Es wirkte alles so … verstohlen.
    Und Oberarschloch Jens war nie bei der Polizei gewesen. Sondern bei der Bundeswehr. Soldat auf Zeit. Da passte einiges nicht zusammen.
    Gut. Nimm an, sie sind nur zu dritt. Zwei stehen am Bahnhof. Wo ist der Dritte?
    Am Flughafen.
    Oder er fährt die Straßen ab.
    Oder er überwacht Lee, jetzt, zu spät.
    Oder er versucht, dein Telefon zu orten.
    Sie holte es hervor. Es war ausgeschaltet. Irgendwo hatte sie allerdings gelesen, man könnte Mobiltelefone einschalten, indem man von einem anderen Gerät einen bestimmten Befehl sandte.
    Glaubte sie das?
    Spielte es eine Rolle? Sie würde dieses Telefon sowieso nie wieder benutzen. Sie nahm es in die verbundene Hand, öffnete den Deckel des Batteriefachs, löste Akku und Karte heraus. Ging zur nächsten Parkbank und legte den Akku dort ab.
    Und rannte los. In ruhigem Tempo, dem Tempo, das sie über Kilometer durchhalten konnte. Lockere Knie. Lockere Schultern. Diagonal über den Rathausplatz und in die Fußgängerzone, wieder rechts, links und rechts. Im Laufen warf sie das Telefon in einen Papierkorb. Weiter über den Fluss. Ins Hafengelände und am Wasser entlang bis zum Anlegeplatz der Fähren.
    Noch war alles still. Menschenleer. Der Verkaufsschalter geschlossen. Auf dem Parkplatz standen zwei Dutzend Anhänger von Sattelschleppern, nebeneinander aufgereiht. Sie studierte den Fahrplan und lief dann quer über den Platz zum Anleger für die Autofähren nach Kalundborg.
    Durch einen Anhänger vor Blicken geschützt, setzte sie sich auf einen Poller und warf die Telefonkarte ins Wasser. In den Wolken hing ein erster Schimmer von Grau. Weit weg, an einem anderen Pier, surrte ein Kranmotor und verstummte wieder. Das Meer war glatt, es spiegelte die Laternen an den Kais und weit draußen die Lichter eines Schiffes, das sich dem Hafen näherte.
    Sie würde nicht wiederkommen. Nie wieder Eis essen auf den Betonterrassen am Fluss. Nie wieder mit Katta über den Strand laufen. Nie wieder mit Maria kochen oder mit Timo bis in die Nacht hinein schwatzen. Wieso machte sie das nicht traurig? Wieso war da nur dieses konturlose Grau; als hätte es die Menschen und Dinge, die ihr Leben in Århus ausgemacht hatten, nie wirklich gegeben; als hätte es auch sie selbst nicht gegeben? Nur leeren Raum, einen Ballon, auf dessen Hülle Bilder projiziert wurden, in dessen Zentrum sich nichts befand.
    Vergiss es. Bestandsaufnahme. Sie leerte die Taschen und legte den Inhalt vor sich aus. Glättete die Geldscheine und schob sie ins Portemonnaie, schob die Kreditkarte an ihren Platz. Der Personalausweis steckte in seinem Fach.
    Sonst fand sich nicht viel in ihren Taschen. Ein Feuerzeug. Blättchen. Aber kein Tabak. Lees Umschlag – sie warf einen Blick hinein: drei oder vier gefaltete Blätter. Ein Päckchen Papiertaschentücher. Ein Zettel mit Steffens Telefonnummer. Sie warf ihn ins Wasser.
    Ihr iPod. Sie

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