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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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sie nicht fragte, um ihn in die Enge zu treiben. Um ihm etwas vorzuwerfen. Sondern weil es auch ihre Geschichte war. »Nein, Dhani. Niemals. Gisela hätte das nie getan. Sie war so schockiert, als sie es herausfand … «
    Doch seine Stimme war wieder flach geworden. Er log ihr etwas vor; oder wenn er nicht log, so sortierte er zumindest die Fakten, packte einige davon in eine Schublade, die er zu verschließen gedachte. Gleich würde er sagen: Mir ist kalt, kleine Dhani, oder: Lass uns über etwas anderes reden.
    Sie fasste nach seiner Hand. »Erzähl mir doch von ihr.« Und als er nur ihre Hand drückte und schwieg: »Bitte. Erzähl mir, wie sie war.«
    Gisela und Nandin, Indrasena und Bengt. So hatte Adrian sie in Indien kennengelernt: als Gruppe von vier, als kleines, eng vernetztes komplexes System. Eingebettet in das Heer der Sannyasin, der Schüler von Bhagwan, später Osho genannt, die zu Tausenden aus den reichen Ländern der Welt nach Poona kamen, um zu meditieren, zu arbeiten, Bhagwan sprechen zu hören, neue Menschen zu werden.
    Unter ihnen diese vier. Bengt, der Sohn eines reichen Politikers, der Kluge und Wortgewandte. Indrasena, das Diplomatenkind aus Schweden, das nie länger als zwei Jahre am selben Ort gelebt hatte, das gern tanzte und sich verliebte und letztlich doch zu Bengt gehörte. Nandin, der Deutsche, der schon damals viel umherreiste und wenig über sich erzählte, von dem Adrian erst auf Gotland erfuhr, dass er eigentlich Rainer hieß. Der häufig mit Bengt stritt, ohne dass Adrian die Gründe durchschaute.
    Und Gisela. Die Ruhige aus Westfalen. Die jeder nett fand, die man oft übersah. Die immer auszugleichen versuchte. Die Indrasena beruhigte, wenn sie zu viel geraucht oder geschluckt oder getrunken hatte. Die stets wusste, wohin Nandin gefahren war und wann er zurückkommen würde. Die sich Bhagwans Worte merkte; die sich aber auch Bengts Worte merkte und mit ihm und Nandin und Adrian über die Widersprüche diskutierte. Die Bengt mit Nandin versöhnen konnte und Indrasena mit Bengt. Die am häufigsten von allen wir sagte.
    Bengt und Gisela, Nandin, Indrasena. Als Ersten der vier lernte er Bengt kennen: durch eine Debatte zwischen ihm und drei Bhagwan-Schülern, in die er zufällig hineingeriet. Ein Streitgespräch über die Frage, was das Ziel der Suche war, die sie alle nach Poona geführt hatte; ob sie nicht Gefahr liefen, einen Zustand maximalen Wohlbefindens mit der Erleuchtung zu verwechseln. Es war eine Frage, die Bengt immer wieder stellte, in Poona und auch später auf Gotland: Was sucht ihr? Wollt ihr nur, dass es euch gut geht – dass sich eure Ängste, Schuldgefühle, Minderwertigkeitsgefühle auflösen? Oder wollt ihr wirklich etwas Neues erfahren? Als Adrian nach Poona kam, hatte Bengt sich unter den treuen Anhängern Bhagwans bereits eine feste Schar von Feinden geschaffen, und seine Diskussionen mit ihnen bestanden nur noch im ritualisierten Austauschen von Argumenten, die alle längst kannten; aber Adrian begriff beim Zuhören zum ersten Mal, weshalb ihn Poona langweilte: weil so viele Sannyasin von Bhagwans Lehren offenbar nur das Ganz entspannt im Hier und Jetzt wichtig nahmen.
    Als die Diskussion zu Ende war, folgte er Bengt ins Freie; ein anderer Zuhörer folgte ihm ebenfalls, eine Frau: So lernte er Gisela kennen. Die stille Gisela, die im großen Kreis gewöhnlich nur zuhörte und sich ihre Fragen für später aufsparte, wenn sie Bengt für sich allein hatte. Mit der Bengt immer geduldig und liebevoll sprach, auch wenn sie seine Meinungen nicht teilte. Die man stets in Bengts Nähe sah, so dass Adrian anfangs dachte, die beiden seien ein Paar.
    Bis Indrasena von einem Ausflug nach Bombay zurückkehrte.
    Indrasena. Sie hörte nie zu, wenn Bengt diskutierte; Streitgespräche langweilten sie. Eine Erleuchtung, die mit Geschwätz und schlechter Laune erkauft werden müsste, könne ihr gestohlen bleiben, sagte sie, als Gisela sie einmal zur Rede stellte; und lächelte Bengt zu, so dass er seine Argumente vergaß und zurücklächelte und mit ihr davonging.
    Zusammen mit Indrasena kehrte auch Nandin aus Bombay zurück, Giselas Freund, aber damals bemerkte Adrian ihn kaum. Er sah nur noch Indrasena. Indrasena mit den großen Augen. Die nie irgendetwas erklärte. Die nie fragte, was der nächste Tag bringen würde. Gleich beim ersten Fest nach ihrer Rückkehr zog sie Adrian mit sich auf die Tanzfläche, hielt ihn an beiden Händen fest, damit er ihr nicht wieder

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