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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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entwischte, lachte ihn an, gab ihm einen Kuss. Später noch einen.
    So fing es an.
    »Es war unmöglich.«
    Er sagte es nach langer Pause; als hätte er zunächst prüfen müssen, ob dieses Fazit, das Fazit von damals, tatsächlich stimmte. Während er schwieg, hatte sie sich eine Zigarette gedreht und fast zu Ende geraucht, an die Mauer neben der Treppe gelehnt; ihr war längst kalt, aber Adrian schien das Stillsitzen zu brauchen, Unterarme auf den Knien, Hände verschränkt, Blick auf die unterste Betonstufe gerichtet, die vom Wasser überspült wurde. Stillhalten gegen den Aufruhr, den die Erinnerung offenbar immer noch auslöste, nach siebenundzwanzig oder noch mehr Jahren.
    »Wegen Bengt«, sagte sie.
    Er hob den Kopf und sah sie an, als müsste er sich erst vergewissern, dass dort ein Mensch saß, kein Gespenst. »Natürlich.«
    Denn Indrasena gehörte zu Bengt, und damit war es selbstverständlich unmöglich, dass Adrian sich dauerhaft mit ihr einließ. Obwohl Bengt nicht die leiseste Spur von Eifersucht zeigte, der souveräne, ausgeglichene Bengt – doch Adrian hielt es einfach nicht aus, etwas zu tun, das ihn verletzt hätte. Nach vier wundervollen Wochen und zwei einsamen Nächten ging er zu Indrasena und sagte ihr, dass sie sich trennen müssten. Sie lachte und erwiderte: kein Problem.
    Und verschwand am nächsten Morgen aus Poona. Es dauerte fast zwei Wochen, bis Adrian, Bengt und Nandin sie fanden. In Bombay, in einem billigen, verdreckten Hotel. Völlig high. Als sie Bengt erkannte, fing sie an zu weinen.
    Als sie Adrian sah, begann sie zu schreien.
    Bengt schickte ihn aus dem Zimmer. Später schickte er ihn nach Poona zurück; noch später, als es ihm gelungen war, Indrasena zur Rückkehr zu überreden, bat er Adrian, Poona zu verlassen. Er machte ihm keine Vorwürfe – im Gegenteil, fast entschuldigte er sich. Er hätte offener mit ihm reden sollen, ihm die Situation erklären. Indrasena vertrage keine Zurückweisung, nicht die kleinste – ihre Eltern, die in allem, was nur Geld kostete, großzügig seien, hätten sie emotional hungern lassen, darum sauge sie jetzt Liebe auf wie ein Schwamm, es sei nie genug, nie wirklich genug; und wenn man ihr ein Stück Liebe wegnehme – oder auch nur den Anschein erwecke – er wisse, dass Adrian sie nach wie vor gern hatte, aber sie wisse es nicht, sie brauche unaufhörlich Beweise – wenn man ihr Liebe wegnehme, falle sie in sich zusammen. So schlimm wie dieses Mal sei es allerdings noch nie gewesen, sie habe immer schon mehr Drogen genommen, als gut für sie sei, aber jetzt habe sie angefangen, Heroin zu spritzen. Sie wollten versuchen, sie davon wegzubekommen, die Chancen stünden gar nicht schlecht – aber es wäre besser, wenn sie ihm hier nicht mehr begegne, das sehe er doch sicher ein.
    »Also bist du weggefahren«, sagte sie, und wieder sah er sie an, als hätten sie sich beide in den Jahrzehnten verirrt. »Obwohl du sie geliebt hast.«
    Aber wen hatte er geliebt? Indrasena? Bengt? Die ganze Gruppe der vier, die so eng zusammenhielt, damals? Oder seine Vorstellung von einer Gruppe, in der jeder bereitwillig auf Glück verzichtete, um alle gemeinsam glücklich zu machen?
    »Eben darum«, sagte er. »Bengt hatte recht. Es war der einzige Weg, ihr zu helfen.«
    Und meine Mutter? hätte sie gern gefragt. Wie glücklich war sie? Während ihr alle um Indrasena herumgetanzt seid?
    »Wann war das? Wann bist du weggegangen?«
    Er musste nachdenken. »1977. Im Frühjahr. April vielleicht.«
    Acht Monate, bevor sie geboren wurde. Während Adrian sich in Indrasena verliebt und wieder von ihr getrennt hatte, während sie verschwunden war und Bengt und Nandin und Adrian nach ihr gesucht hatten – irgendwann in dieser Zeit war ihre Mutter schwanger geworden.
    Von Nandin? Von jemand, den Adrian nicht einmal erwähnte? Oder vom wundervollen, vernachlässigten Bengt?
    Adrian reiste von Indien nach Thailand, lernte in einem Kloster meditieren, freundete sich mit zwei Briten und einem Holländer an und kehrte mit ihnen in einem umgebauten Bus über Pakistan, Afghanistan, den Iran, die Türkei, Griechenland und Jugoslawien nach Deutschland zurück. Drei Jahre später lief er in Amsterdam einem Bekannten aus Poona über den Weg und erfuhr, dass Nandin ebenfalls in der Stadt war.
    Er besuchte Nandin im Hotel. In Poona hatten sie sich wenig zu sagen gehabt, aber jetzt begrüßte Nandin ihn wie einen Freund. Er spendierte ihm Schnaps – viele Schnäpse – , fragte ihn

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