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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Bengt heiser etwas entgegen; dann schloss Bengt die Tür.
    »Du musst mich für völlig beschränkt halten«, sagte er. Jetzt schien auch er die Kälte zu spüren, er rieb die Hände aneinander, wie um sie zu wärmen. Sie hatte inzwischen das warme Sweatshirt übergezogen, das sie am Vormittag gekauft hatte, die Jacke bis oben zugeknöpft und sich auf eins der neuen T-Shirts gesetzt und fror trotzdem, aber sie wollte ihn nicht unterbrechen, nicht jetzt.
    »Dass ich es erst so spät begriffen habe. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt. Mein Vater hatte vor kurzem die Army verlassen – er trank seit Jahren, aber jetzt hatte er einen Geländewagen zu Schrott gefahren, und sie konnten sich nicht mehr blind stellen, sie hatten ihm gesagt, er müsste gehen. Meine Mutter wollte, dass ich mit in die USA zurückkam. Ich sollte auf ihn aufpassen, klar. Damit er drüben nicht alles versoff. Aber ich hatte mir schon vor Jahren etwas geschworen: dass ich nie wieder ein Zimmer betrete, in dem er sich aufhält. Meine Mutter hat er in Ruhe gelassen, aber ich war immer sein Punchingball … Keine tolle Geschichte, Dhani, so was passiert ständig und überall auf der Welt. Aber damals hat es mich beschäftigt. Ich wollte nicht mit in die USA , aber ich wollte ein guter Sohn sein, verstehst du? Deine Mutter hat es verstanden … Wir haben damals viel miteinander geredet. Gisela konnte großartig zuhören.«
    Gisela, die Predigt-Abtipperin.
    Die Streitschlichterin.
    Die Indrasena-Betreuerin.
    Die großartige Zuhörerin.
    Gisela hatte sich angewöhnt, bei schönem Wetter nach dem Abendessen nach draußen zu kommen, wo Adrian gewöhnlich am Auto herumbastelte; sie brachte ihm einen Becher Kräutertee mit, setzte sich auf einen Hauklotz und sah ihm zu. Sie unterhielten sich über die Ereignisse des Tages; über Adrians Eltern und ihre Eltern; über das Gefühl, nie gut genug zu sein, egal, was man tat. Einmal sprachen sie über Nandin, und Gisela fing an zu weinen: Sie spüre gar keine Verbindung mehr zu ihm, er müsse immer über alles spötteln, ihm sei es so viel wichtiger, witzig und überlegen zu sein, als andere Menschen zu verstehen. An diesem Abend nahm Adrian sie zum ersten Mal in die Arme; schlief zum ersten Mal in ihrem Zimmer; am nächsten Tag schrieb sie Nandin einen Brief, sie wusste nach wie vor jederzeit, wo er zu erreichen war.
    Von Gisela erfuhr Adrian endlich, was mit Indrasena nicht stimmte. Am Nachmittag hatte er sie zitternd und krank auf dem Bett liegen sehen; am Abend erzählte er Gisela davon, während er die Zündkerzen des Transporters prüfte; und Gisela hob gleichmütig, fast gelangweilt die Schultern und sagte: So sieht es eben aus, wenn sie den nächsten Schuss braucht. Als Adrian sie anstarrte, ergänzte sie: Sie ist nie vom Heroin weggekommen, hast du das etwa nicht gewusst?
    Dabei hatte Bengt alles versucht. Er war ihr nach Bombay gefolgt und hatte sie nach Poona zurückgeholt, nicht nur das eine Mal, nein, viele Male, denn es zog Indrasena immer wieder nach Bombay. In billige Absteigen. In Kneipen, in denen sich der Abschaum Indiens traf. Ins Bordell – ja, auch ins Bordell, Adrian, so läuft es nun mal, irgendwann geht ihnen eben das Geld aus, selbst in Indien gibt es Heroin nicht umsonst.
    Die Erbitterung in ihrer Stimme, als sie es erzählte. Die jahrelang aufgestaute, nie eingestandene Wut. Weil Bengt Indrasena liebte. Der selbstlose Bengt. Und Indrasena das schamlos ausnutzte. Sich Jahr um Jahr an ihn hängte, an den reichen Politikersohn, der alles für sie tat, ihr immer und immer wieder half. Ein einziges Mal hatten ihre Eltern eingegriffen und sie in eine Privatklinik in Schweden gesteckt, wo sie über ein Jahr lang blieb – aber kaum war sie draußen, rief sie Bengt an, und er holte sie nach Gotland ins Waldhaus. Und alles fing von vorne an.
    »Aber sie muss sich doch gefragt haben, woher das Heroin kam!«
    Zu laut, Dhani, viel zu laut: Zwei Spaziergänger auf dem Kai drehten die Köpfe. Und doch schien Adrian es nicht zu hören, er saß neben ihr und schwieg, den Blick auf seine Hände gerichtet. Er war so weit fort. Noch immer in den Strukturen von damals gefangen, dem komplexen System, das sie gemeinsam aufgebaut hatten, vierzehn erwachsene Menschen auf der Suche nach der sogenannten Erleuchtung.
    Bengt, der Indrasena liebte.
    Indrasena, die das Heroin liebte.
    Adrian, der vermutlich immer noch Indrasena liebte.
    Aber mit ihrer Mutter in einem Bett schlief.
    Ihre

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