Visby: Roman (German Edition)
Mutter, die sich bei Adrian ausweinte.
Und Bengt liebte.
Indrasena hasste.
Trotzdem stets zu allen nett war.
Bis sie das Nettsein nicht mehr aushielt? Und von den Klippen sprang?
»Lass uns mal weitergehen, ja?«, sagte sie. »Ich brauche Bewegung.«
An einem Mittwochmorgen im November – um kurz nach sieben, es war noch dunkel – kam die Polizei ins Waldhaus. Zwei Wagen mit Kripobeamten, ein Mannschaftswagen mit Uniformierten. Sie riefen alle Bewohner im Esszimmer zusammen und befragten sie nach Name, Herkunft, Alter, Beruf: elf Erwachsene und ein fünfjähriges Kind.
Bengt und Indrasena waren nicht da. Bengt hatte am Vorabend seinen Meditationskurs in Visby abgehalten, und Indrasena hatte ihn begleitet; sie hatten angekündigt, dass sie dort übernachten wollten.
Nandin war ebenfalls nicht im Waldhaus, allerdings schon seit zwei Wochen nicht mehr, nach ihm fragte niemand. Während drei Beamte im Esszimmer mit den Erwachsenen sprachen, durchsuchten ihre Kollegen Haus und Nebengebäude. Sie fanden Heroin und Spritzen: hinter einer lockeren Wandverkleidung in dem Zimmer, das Bengt und Indrasena bewohnten; in einer verschließbaren Metallkiste in dem kleinen Büro, das Bengt und Gisela benutzten; im Freien, am Rand der Lichtung, in einem halb verfaulten Baumstumpf. Die Menge in Bengts und Indrasenas Zimmer war am größten, sicher nicht nur für Indrasena bestimmt; hier fand sich außerdem ein Umschlag mit Geld und eine getippte Liste mit Namen. Die Beamten befragten die Hausbewohner dazu; niemand hatte etwas zu sagen.
Gisela saß während der Vernehmung blass und wie abwesend auf ihrem Stuhl. Dann, als die Durchsuchung vorbei war, die Kripobeamten in ihre Autos stiegen und die Uniformierten sich zur Abfahrt am Mannschaftswagen versammelten, sprang sie auf und ging hinaus, wortlos. Adrian folgte ihr und fand sie draußen auf der Wiese bei dem Kleintransporter der Kommune, sie knallte gerade die Fahrertür zu. »Dürfen die das?«, fragte sie laut auf Englisch, kam ihm entgegen und zeigte mit ausgestrecktem Arm zu den Polizisten. »Dürfen die unser Auto beschlagnahmen?«
»Wieso beschlagnahmen?«, fragte er, und sie blieb vor ihm stehen und rief noch lauter:
»Die Autoschlüssel sind weg!«
Er wusste nicht, was er tun sollte. Die Schlüssel steckten in seiner Jackentasche – er hatte am frühen Morgen Frostschutzmittel in die Scheibenwaschanlage gefüllt. Aber Gisela schien außer sich, zu aufgeregt, um Auto zu fahren.
»Wo willst du denn hin?«
»Zu Bengt. Ich muss mit ihm reden. Sofort.«
Er fragte sich, wie sie sich das vorstellte. Sicher hatte die Polizei auch das Haus bei Visby durchsucht, und Bengt war höchstwahrscheinlich verhaftet. Doch Gisela hatte sich schon abgewandt und wollte auf die Polizisten zustürmen.
Adrian hielt sie am Ärmel fest. »Warte.« Er holte die Schlüssel hervor. »Ich fahre dich hin.«
Er ging zum Transporter. Als er die Fahrertür öffnete, merkte er, dass ihm alle anderen folgten. Verschreckt, verfroren, noch in der orange-grünen Kleidung, die sie beim Meditieren trugen. Sie kletterten durch die Seitentür in den Transporter und hockten sich zusammengedrängt auf die Bänke.
Und auf der Eingangsveranda, vor der offenen Tür, stand sie, Dhani, die Fünfjährige, und sah den Erwachsenen nach.
Adrian kehrte um und hob sie hoch. Mit ihr auf dem Arm machte er einen schnellen Rundgang durchs Haus, schloss die Fenster und die Hintertür, vergewisserte sich, dass der Herd ausgeschaltet war und kein Wasser mehr lief. Dann ging er nach draußen, schloss die Vordertür ab, übergab Dhanavati an eine der Frauen, setzte sich hinters Steuer und fuhr los.
Niemand sprach. Gisela, neben ihm auf dem Beifahrersitz, blickte starr geradeaus. Auf den Wiesen und Brachen lag Schnee. Die Straßen waren rutschig, die Reifen des Transporters alt; erst vor zwei Tagen hatte Adrian Bengt erklärt, dass sie vor dem Winter noch neue brauchten.
Das zweite Grundstück der Eglunds lag am Südrand von Visby, wo der Fährhafen endete und die Klippen begannen: ein verwilderter Park zwischen der Hafenstraße und einem militärischen Übungsgelände. Ungemähte Wiesen, alte Kiefern und inmitten der Bäume ein kompaktes zweistöckiges Holzhaus, zu dem ein asphaltierter Weg führte.
Auf der Zufahrt parkte Bengts Fiat und davor ein hellblauer Volvo. Ein zweiter, dunkler Volvo stand auf der Wiese. Ein Mann wollte gerade einsteigen.
Gisela rief etwas und stieß die Beifahrertür auf, noch während der
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