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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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herankam. Beide hielten Bierflaschen in der Hand und unterhielten sich träge auf Russisch. Endlich stand der Lastzug richtig, der Fahrer stieg aus, schloss ab und kam die Treppe herauf. Die beiden Männer hoben grüßend die Hand, der Neuankömmling nickte und ging nach drinnen.
    Lastzüge. Fernfahrer mit Papieren in der Hand. Über dem Wagendeck zog eine Möwe zwei Kreise, setzte sich auf einen Mast, flog wieder auf.
    Das Heck der Fähre hatte sich geschlossen. Die Schiffsmotoren liefen. Über die Dächer und Planen der Lastwagen hinweg sah sie immer noch Adrian auf dem Anleger stehen. Er entfernte sich, langsam. Sie hob die Hand und winkte. Er winkte zurück.
    Es blieben so viele Lücken. Er wusste so wenig. Er hatte sein Leben lang so wenige Fragen gestellt. Auch von ihr hatte er nicht wissen wollen, was in Århus geschehen war; er hatte zugehört, das schon; was sie erzählte, hatte er bereitwillig aufgenommen; aber er hatte nicht nachgefragt.
    Warmherzig. Ohne Neugier.
    Nun stand er dort und sah ihr nach. Ohne zu winken inzwischen, während links von ihm ein weiteres Hafenbecken in Sicht kam; sah ihr nach und wurde kleiner und verschwand hinter einer weißen Skandinavienfähre. Der Fährhafen blieb hinter ihr zurück, ein Frachthafen, ein Marinehafen. Wald und eine lange Mole.
    Offenes Meer.

ANNIKA
    Wie ging es weiter? Nach Nilssons Besuch? Nachdem er mir seinen Bericht gebracht und von mir erfahren hatte, wo Dhanavati sich aufhielt? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern, im Rückblick sind die Tage alle gleich. Angefüllt mit einer grauen Masse, die sich langsam über alles hinwegwälzte, was einmal bewohnt und lebendig war.
    Aber natürlich lebte ich weiter, wir alle lebten weiter, Nina und ich, Paula und Bernd, Maike, die Nachbarn, Ninas Freundinnen, meine Eltern. Die Fragen – wo ist Adrian, hast du von ihm gehört, wie kommst du ohne ihn zurecht – wurden vorsichtiger. Gespräche verstummten, wenn ich hereinkam. Immer öfter überraschte ich andere dabei, wie sie Blicke wechselten, die ich nicht bemerken sollte. Eiderstedt machte sich seinen eigenen Reim auf Adrians Verschwinden.
    Mir war es gleichgültig. Offener Spott hätte mich vielleicht aufgerüttelt, aber das Getuschel ließ sich leicht ignorieren. Ich merkte nicht einmal, wie sehr ich mich isolierte. Wie selten ich nur noch Gespräche führte, die diesen Namen auch verdienten. Die Leute wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten, und ich half ihnen nicht. Ich wollte gar nicht über Adrian sprechen. Ich hatte mich davon überzeugt, dass ich nichts tun konnte als warten, bis Nilsson sich meldete. Oder bis ich von Adrian hörte. Warten und mich um den Alltag kümmern. Er war schwierig genug geworden, seit Adrian nicht mehr seinen Teil dazu beitrug.
    Der Besuch von Dhanavatis Chefin und ihrem Mitarbeiter samt Hündin leuchtet als farbiger Tupfer aus diesen Wochen heraus – nicht weil ich etwas Neues erfuhr, denn letztlich bestätigten sie mir nur, dass in der Rüstungsforschung tatsächlich auch Mathematiker gebraucht werden, ein Punkt, den ich Nilsson nie ganz geglaubt hatte. Sondern weil ich mit Maria Kingsley über Adrian reden konnte. Über den Adrian, in den ich mich verliebt hatte, mit dem ich ein Kind in die Welt gesetzt hatte. Über die Jahre in Berlin, in denen wir uns zwei Straßen von der Mauer entfernt ein Zuhause eingerichtet hatten, mit guten Freunden, einem Balkon voller Pflanzen und gerade genug Geld, um von einem Monat zum anderen zu überleben. Bis die Mauer fiel und wir plötzlich im Zentrum einer Stadt lebten, in die aus allen Ecken der Welt fremde, aufgeregte Menschen strömten, und ich merkte, dass ich schwanger war. Ich redete und erzählte, während ich zugleich Papierstücke auf Drahtgeflecht klebte – denn auch diese Besucher waren unangemeldet erschienen und hatten mich bei der Arbeit gestört, aber Marias Gegenwart machte mich nicht befangen, sie saß so selbstverständlich in dem alten Korbstuhl, als wäre sie eine Kollegin, eine alte Bekannte – und mit jedem Satz, den ich sprach, wurde der Adrian von damals lebendiger, der ruhelose, aber liebevolle, der mir immer wieder half, die Welt und meine Angst vor ihr zu vergessen. Er trat neben den Adrian, mit dem ich die Jahre in Eiderstedt verbracht hatte, den zuverlässigen und stabilen, und fragte: Welchen von uns meinst du denn nun? Und später, als wir zusammen mit Nina, Timo Helm und dem Hund auf dem weiten Strand vor Sankt Peter spazieren gingen und Maria über

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