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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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zuschauen, wie das Holz Feuer fängt, und genau im richtigen Moment ein erstes dickeres Stück nachlegen.
    Aber er ist nicht hier. Er gehört nicht mehr hierher, nicht in dieses Haus. Vielleicht hat er es sich einmal angeschaut, aber sicherlich kommt er nicht regelmäßig her. Er ist nicht nach Ljugarn gefahren, um zu dem alten Leben zurückzukehren, zu Eglunds erfundenen Ritualen.
    Glaube ich. Hoffe ich.
    Und es liegt nur ein Sitzkissen im Zimmer.
    Im oberen Flur reiht sich Tür an Tür. Kleine Zimmer mit kleinen Fenstern, zwischendurch ein Bad, eine Abstellkammer, noch ein Bad. Die Zimmer sind leer. Auf den Dielen liegt Staub, aus den Hähnen fließt kein Wasser. Im fünften oder sechsten Zimmer trete ich ans Fenster, blicke ins Freie, lausche hinaus in die Stille. Auf der Wiese liegt diffuses Sonnenlicht, umgrenzt von langen Schatten. Der Tau schimmert: kein Funkeln, sondern ein weißer Glanz, der den Dingen die Farbe nimmt. Unter den Bäumen steht Dunst.
    Eine blasse Welt, ohne Schärfe.
    So friedlich. Als hätten sie mit ihren Meditationen damals ein Energiefeld erschaffen, das dieses Haus bis heute schützt. Wenn ich einmal hier gelebt hätte, würde ich mich vielleicht auch zurücksehnen. Wenn es mein Zuhause nicht gäbe. Wenn ich mich hier zum ersten Mal heimisch gefühlt hätte. Umgeben von Menschen, denen ich nicht erst beweisen musste, dass ich etwas wert war.
    Ja, vielleicht würde ich mich zurücksehnen. Aber ich würde nicht bleiben. Es sei denn, mein Leben erschiene mir so leer, dass ich nichts aufgäbe, wenn ich bliebe. Dann würde ich vielleicht auch nach Ljugarn ziehen, mir irgendeine Arbeit suchen und allabendlich herkommen. Und die Toten heraufbeschwören, die leeren Zimmer mit ihren Stimmen, ihrem Lachen füllen. Ihrer vergangenen Wärme.
    Aber Adrian braucht keine Geister. Er müsste nur nach Hause kommen.
    Im letzten Zimmer auf der Vorderseite, einem etwas größeren Eckzimmer, liegt eine Matratze auf dem Fußboden. Sonst nichts, nur eine Matratze. Breit genug für zwei Menschen. Ohne Kissen, ohne Decke. Ich lege die Hand darauf. Kalt und feucht. Ich setze mich, lege mich, drehe mich auf die Seite, blicke aus dem Fenster in den Himmel. Adrian? Adrian und Ingela? Will ich das wissen?
    Ich stehe wieder auf, trete ans Fenster. Auch von hier blickt man auf die Wiese und den Fahrweg.
    Neben meinem Mietwagen steht ein Mann.
    Mein Herz setzt aus und fängt an zu hämmern.
    Aber es ist nicht Adrian. Zu schmal in den Schultern. Die Haare zu kurz und zu hell. Die Art, wie er jetzt den Kopf dreht, ist völlig anders. Er blickt den Fahrweg entlang, und dort taucht ein zweiter Mann auf. Kleiner und dicker. Runder Kopf. Er telefoniert.
    Ganz kurz fühle ich mich an Schulz und Nagel erinnert, aber sicherlich hat keiner von diesen Leuten jetzt noch einen Grund, mir zu folgen. Bestimmt sind es Einheimische. Vielleicht rufen sie Ingela an, um ihr zu sagen, dass vor dem Waldhaus ein fremdes Auto parkt. Dann weiß sie, dass sie jetzt nicht herkommen darf.
    Aber sie wäre ohnehin nicht gekommen, sie ist in Visby bei der Arbeit.
    Und Adrian?
    Ich war so sicher, dass ich ihn in Ljugarn wiedersehen würde, aber jetzt, da ich hier bin, scheint die Entfernung zu ihm größer denn je. Warum? Ist er schon abgereist? Oder liegt es daran, dass der Adrian aus den Jahren auf Gotland nicht mein Adrian ist? Und wenn es so ist, welchen von beiden werde ich finden?
    Die Männer sind fort. Den Fahrweg entlang davongegangen. Die Welt ist wieder still und leer. Ich kehre in den Flur zurück. Ganz hinten führt eine schmale Treppe, fast eine Leiter, zum Dachboden hinauf.
    An seiner Stirnseite hat jemand ein Zimmer eingebaut: Sperrholzwände, ungestrichen, darin eine Tür, sie steht offen.
    Von innen sind Wände und Dachschrägen tapeziert, weiß mit einem Getümmel aus grünen, gelben und roten Schneemännern. Kinder-Tapete, es ist fast das gleiche Muster wie in Ninas Zimmer in Westerkoog. Nur dass es bei ihr Igel und Hasen sind. Hüpfende Ziegen. Die Tapete hat Adrian ausgesucht. Kurz bevor er bei uns einzog. Nina war gerade sieben geworden und in einer ihrer erwachsenen Phasen, von mir hätte sie so ein Muster nicht akzeptiert, aber Adrian war längst ihr Ritter, ihr Held, er konnte überhaupt nichts falsch machen.
    Ich hocke mich hin, an den Türpfosten gelehnt, und lege den Kopf auf die Arme. Wie lange das her ist. Wie sicher ich mich damals gefühlt habe. Sicher, dass er nicht wieder weggehen würde, diesmal nicht. Weil er mich

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