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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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in beiden Händen, der Lauf zeigte genau auf sie.
    Ein paar Sekunden lang rührte sich niemand.
    »Juri«, sagte Eglund dann ruhig, fast beiläufig, und ergänzte etwas auf Russisch. Juri antwortete, zögerte und senkte die Waffe. Eglund drehte sich zu ihr um, legte den Arm um sie und schob sie die Treppe hinauf.
    Im ersten Stock kam ihnen Juri entgegen. Immer noch mit der Pistole in der Hand. Die Männer redeten. Eglund hielt sie weiter fest.
    Plötzlich deutete Juri nach oben, und seine Stimme wurde laut. Eglund schüttelte den Kopf und lachte; drückte sie noch fester an sich, gab ihr einen Kuss auf die Wange und fuhr ihr mit der freien Hand durch die Haare.
    Als würde sie in kaltes Wasser fallen. Sie konnte nicht atmen, Arme und Beine waren starr. Eglunds Finger gruben sich in ihre Schulter, er lachte, irgendwo weit entfernt, Juri starrte sie an; sie wurde in den Flur geschoben, in ein Zimmer; eine Tür schlug; Eglund ließ sie los.
    Ein Schlafzimmer. Sein Schlafzimmer. Sie wich zurück, bis sie das Bett zwischen sich hatten, ein breites Bett, schon aufgedeckt. Ich schreie gleich, sagte jemand in ihr, ganz sachlich, wie man sagt: Das Wasser kocht gleich. Eglund redete; plötzlich stand er wieder dicht vor ihr und sagte: »Entspann dich. Ich mach mir nichts aus kleinen Mädchen.«
    Ihr Gesicht brannte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Nimm dich zusammen, blödes Gör, dachte sie wütend. Wir blamieren uns nicht noch mehr!
    Sie merkte, dass sie sich die Schulter rieb, dort wo er zugepackt hatte. Im gleichen Augenblick schaute er auch hin, wandte sich heftig ab und marschierte ums Bett. Wütend. Wütend, weil sie ihm ständig in die Quere kam. Nicht einmal schwimmen gehen konnte er in seinem eigenen Haus, ohne über sie zu stolpern. Die Suse, die nach ihrem Papa suchte. Das dumme Mädchen.
    Er setzte sich auf einen Stuhl, mit dem Rücken zu ihr, und zog Socken und Schuhe an. Sitzen war definitiv eine gute Idee, sie wich in die andere Zimmerecke zurück, zu einem Sessel. Ein guter Sessel. Mit Leder bezogen. Nicht so weich, dass man versank. Gleich neben ihr bewegten sich leise die Vorhänge: Ein Luftzug von draußen, kühl auf dem Gesicht.
    Siehst du: kein völlig geschlossener Raum. Und jetzt Ruhe bitte, Dhani. Ruhe.
    Eglund war aufgestanden und nahm etwas aus dem Schrank. Streifte es über. Riemen, die sich auf dem Rücken kreuzten. Er öffnete eine Schublade im Nachttisch, griff hinein und steckte eine Pistole in die Halterung an den Riemen. Holte eine Lederjacke aus dem Schrank und zog sie an.
    Er kam zu ihr herüber und blieb zwei Schritte vor dem Sessel stehen. »Du wartest hier, ja? Egal was passiert. Egal wer welche Türen aufschließt – selbst wenn jemand kommt und verspricht, dir zu zeigen, wo ich meine Atomsprengköpfe aufbewahre. Du gehst nicht nach draußen, hörst du?«
    Wie unglaublich witzig. Sie hob die Schultern.
    »Versprich es.« Er zögerte, kam näher und hockte sich hin, eine Hand auf der Armlehne des Sessel. »Versprich es mir, Dhanavati.«
    »Meinetwegen. Versprochen.«
    »Schön.« Er richtete sich auf. »Das Bad ist da drüben. Schlaf einfach ein bisschen.«
    Ja, klar doch. Nichts leichter als das.
    Er wandte sich ab. Schloss die Zimmertür auf. Ging hinaus. Schloss hinter sich ab.
    Sie lauschte. Keine Schritte mehr.
    Sie blickte sich im Zimmer um.
    Es war groß. Sehr ordentlich. Teuer eingerichtet, aber nicht protzig. Warmes Licht von einer Nachttischlampe und einer Leuchte, die auf einem kleinen Schreibtisch stand. Es roch nach Tabak. Ganz schwach nach irgendeinem Rasierwasser.
    Auf dem Schreibtisch lag ein Notebook.
    Was war das jetzt, eine Falle? Noch eine Herausforderung, sich beim Schnüffeln ertappen zu lassen?
    Nein. Er hatte längst das Interesse an ihr verloren. Er hatte sie geschüttelt und ausgeklopft, bis alle Informationskrümel herausgefallen waren; danach hatte er sie als unbedeutend beiseitegelegt. Was ihn jetzt beschäftigte, war die Frage, wer von seinen Leuten hinter seinem Rücken Türen aufschloss und Wachposten weglockte. Das war wichtig. Dass in seinem Haus etwas vorging, wovon er nichts wusste.
    Sie war unwichtig.
    Es hat dich niemand eingeladen.
    Ich mach mir nichts aus kleinen Mädchen.
    Nicht einmal einen Goldhamster, mit dem man mich erpressen könnte.
    Stiehl uns nicht die Zeit.
    »Nun wach auf!«
    Direkt vor ihr Eglunds Gesicht.
    Faltig. Die Augenlider schlaff. Graue Haare zwischen den hellblonden.
    Alt.
    Er nahm die Hand von ihrer Schulter und wandte sich

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