Visby: Roman (German Edition)
ab. Außer der Nachttischlampe brannte kein Licht. Sie setzte sich im Sessel auf und stellte die Füße auf den Boden.
Auf dem Bett lag ihre Umhängetasche.
Daneben ihr iPod. Ein fremdes Ladegerät. Ihr Portemonnaie.
»Komm, steh auf, wir müssen los.«
Sie fuhr sich mit der unverletzten Hand durch die Haare und rieb sich vorsichtig das Gesicht. Die linke Seite fühlte sich geschwollen an. Die Unterlippe war aufgeplatzt und feucht. In den wundgeriebenen Streifen um die Handgelenke pochte das Blut. In der Schnittwunde an der linken Hand ebenfalls. Ihr linkes Auge tränte. Ihr Nacken war steif.
Das nur bei der ersten flüchtigen Inspektion.
»Schläfst du noch?« Er stand wieder vor ihr, etwas Dunkles in der Hand. Ein Schal. »Hier. Auf dem Wasser wird’s kalt. Beweg dich. Bitte.«
Sie stemmte sich aus dem Sessel in die Höhe. Ihr Rücken tat weh, kurz über dem Kreuz, ein Holm des Motorboots hatte sich dort hineingedrückt. Ihre rechter Fuß war eingeschlafen, der linke …
Ende der Aufzählung, Dhani. »Ich muss noch ins Bad.«
Er seufzte sehr deutlich. »Schnell, ja?«
Sie nahm ihre Tasche mit. Das Bad hatte ein Fenster, sie kippte es an, ließ zwei Sekunden lang den Wind über ihr Gesicht streichen. Draußen war es nach wie vor dunkel. Wo wollte er mitten in der Nacht mit ihr hin?
Zum Boot. Sie an irgendeiner verlassenen Uferstraße von Riga absetzen lassen. Wenn er richtig gut aufgelegt war, gab er ihr vielleicht noch Geld für ein Taxi. Wirklich ein toller Erfolg, diese Reise. Betäubt werden, gefesselt werden, sich prügeln lassen, kotzen – sterben vor Angst, um sich dann von einem arroganten Wichser sagen zu lassen, dass es ihm egal war, ob er sie gezeugt hatte oder nicht.
Sie zog Jacke und T-Shirt aus, wusch sich einhändig mit kaltem Wasser, kramte Deo, Zahnbürste und Zahnpasta hervor. Anziehen, kämmen, einpacken. Wenigstens fühlte sie sich jetzt wach.
Als sie das Bad verließ, lehnte Eglund neben der Tür zum Flur. Er griff augenblicklich nach der Klinke. »Fertig, ja?«
»Kannst du dir nicht wenigstens fünf Minuten Zeit nehmen und mir zwei Fragen beantworten? Es ist noch stockdunkel, und … «
»Es ist Viertel nach fünf, und wenn es nach mir ginge, würde ich seit vier Stunden schlafen. Also komm jetzt, ja?«
»Aber … «
»Wir reden auf dem Boot. Okay? Auf dem Boot.«
Er öffnete die Tür einen Spalt breit, schaute in den Flur hinaus und winkte ihr. »Komm. Und bleib die ganze Zeit dicht bei mir.«
Sie gingen durch den stillen Flur zur Treppe, die Treppe hinunter, in die Halle. An dem Tisch neben der Treppe saß jetzt ein Mann, er stand auf, als sie herunterkamen, und schloss ihnen die Haustür auf. Eglund legte ihr eine Hand auf den Rücken. Sie traten ins Freie.
Es war nicht mehr vollständig dunkel. Der Himmel wurde grau, über dem Wasser lag Dunst, der schimmerte, als hätte er das Licht des vorigen Tags in sich aufgesogen. Sie überquerten eine Zufahrt, weiter rechts parkten Autos, noch weiter entfernt stand eine Baracke, über deren Eingang Licht brannte. Nirgendwo Menschen. Sie betraten den Steg, die Holzbohlen hallten, auf der dunklen Yacht tauchte jemand aus der Kajüte auf und sah ihnen entgegen.
Der Dicke. Sie wollte stehenbleiben, Eglund schob sie weiter. Der Dicke lief außen an der Kajüte entlang zu einer Öffnung in der Reling, stieg auf den Anleger, lächelte ihr zu wie einer Freundin, bückte sich und löste eine der Leinen, mit denen die Yacht festgemacht war.
Sie ging durch die gleiche Öffnung an Bord und sprang auf das hintere Deck hinunter. Der Boden vibrierte unter ihren Füßen. Eglunds Hände lagen jetzt auf ihren Schultern, er schob sie auf die Tür zu, aus der der Dicke gekommen war.
Eine offene Glasschiebetür, dahinter ein niedriger dunkler Raum. Sie fasste mit beiden Händen nach dem Türrahmen. »Ich bleibe draußen.«
»Es ist besser … «
Sie stemmte sich gegen den Druck seiner Hände und wich zur Seite aus. »Ich bleibe draußen!«
Er sah ihr ins Gesicht. Nahm die Hände fort. »Wir lassen die Tür offen. Okay?« Er ging nach drinnen, bückte sich und hantierte an der Innenseite der Schiebetür herum. »Jetzt ist sie blockiert. Siehst du?« Er zerrte am Türgriff. »Du kannst dich gleich dahinter auf den Fußboden setzen. Es ist besser, wenn man dich von Land aus nicht sieht.«
Warum? wollte sie fragen; aber musste sie es verstehen? Vermutlich wollte er doch nur verhindern, dass sie zur Villa zurückfand.
»Kann ich rauchen?«
»Ja,
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