Viscount und Verfuehrer
hätte sich vielleicht die Grippe eingefangen, hat aber kein Fieber, dann ist man verliebt.“
„Es fühlt sich wie Grippe an?“ Beth zog die Pelisse an und knöpfte sie zu. „Immer?“
„Meistens.“
Liebe Güte. Wie schrecklich. „Kein Wunder, dass die Leute davonlaufen.“ Beth öffnete die Tür. „Ich komme bald wieder. Bitte leg schon das blau-cremefarbene Tageskleid raus. Heute Nachmittag gehe ich zu Lady Chudrowe.“
„Jawohl, Mylady.“
Beth ging hinaus. Ihre Gedanken rasten. Sie würde den Viscount nur dieses eine Mal treffen, und dann - nie wieder. Wegen dieser einen Begegnung würde sie doch sicher nicht allzu große Gefahr laufen, seinen Verführungskünsten zu erliegen.
Rasch eilte sie die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße, wo die Kutsche schon bereitstand. Es war ein grauer, wolkenverhangener Tag; eine Windbö hob ihren Rock hoch und peitschte ihn ihr um die Knöchel. Beth zitterte und zog die Pelisse enger um sich.
„Mylady?“, fragte der Stallbursche, als er ihr den Wagenschlag öffnete.
„Zum Britischen Museum.“
„Jawohl, Madam. “ Gleich darauf ratterte die Kutsche durch die dicht befahrenen Straßen Londons. Eine ganze Weile vor zehn Uhr trafen sie am Museum ein. Der Kutscher wirkte unsicher, weil niemand dastand, um sie in Empfang zu nehmen. Beth musste ihn auf recht herablassende Weise davon in Kenntnis setzen, dass ihre Begleitung schon nach drinnen gegangen war, schließlich könne sie nicht erwarten, dass man draußen auf der Treppe auf sie wartete, wenn es nach Regen aussah.
Das stellte ihn zufrieden, und bald war die Kutsche davongefahren. Beth lief die breite Marmortreppe zum Museum empor und ging hinein.
Ein Lakai eilte herbei, um ihr die Pelisse abzunehmen, doch Beth schüttelte den Kopf. Es war kalt im Museum, und sie hatte nicht die Absicht, die nächste halbe Stunde zitternd durch die Räume zu wandern. Außerdem bot ihr der Mantel eine weitere Schutzschicht, und davon konnte sie im Augenblick nicht genug haben.
Beth bezahlte ihre Eintrittskarte, ließ sich eine Broschüre geben und ging dann auf eine Reihe von Schaukästen mit farbenprächtigen chinesischen Seidenfächern zu, die von mehreren Besuchern bewundert wurden.
Sie blieb stehen, heuchelte Interesse, das sie nicht empfand. Innerlich zitternd fragte sie sich, wann der Viscount wohl eintreffen und was er sagen würde. Ungebeten kamen ihr die Bilder ihrer Träume wieder in den Sinn, lebhaft und verstörend.
Ihr Körper reagierte sofort, ihre Haut prickelte, ihre Brüste spannten sich an, und von ihrem Magen ging ein unruhiges Gefühl aus, das sich bis in ihre Knie fortsetzte.
„Ach, Schluss damit!“, schalt sie sich, worauf sie eine Matrone verblüfft ansah.
Beth lief dunkelrot an. Wenn sie nicht aufpasste, würde man sie noch für verrückt erklären. „Ich habe den Verschluss da hinten bewundert“, erklärte sie.
Die Matrone blinzelte.
Beth deutete auf einen der Fächer. „Sehen Sie, der rote. Er hat einen raffinierten Verschluss.“
Die Frau seufzte erleichtert auf. „Und ich dachte, Sie hätten etwas von einem Schuss gesagt! Ich bin schon fürchterlich erschrocken!“ Die Frau grinste verlegen. „Ich bin doch so schreckhaft.“
Beth lachte. „Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken.“
Die Frau zuckte mit den Schultern. „Ach, keine Sorge. Ich habe nur ... “ Sie riss die Augen auf und fixierte etwas hinter Beths Schulter. Ihr Mund stand offen, und sie rührte sich nicht, bis ihr Begleiter, ein älterer Mann - der nicht allzu erfreut aussah, als er erkannte, worauf ihr starrer Blick gerichtet war sich laut räusperte, sie am Arm nahm und auf die andere Seite des Raums zerrte.
Es war Westerville. Wer sonst. Verdammt, warum musste sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen, der aussah wie ein gefallener Engel? Den die Frauen einfach anstarren mussten? Wirklich ärgerlich. Die traurige Wahrheit war, dass sie verrückt war. Es war verrückt, hierher zu kommen, und verrückt zu glauben, sie könnte Informationen aus einem Mann herausholen, den sie kaum kannte.
Sie sollte einfach gehen. Jede normale Frau würde jetzt gehen. Sie würden gehen und sich nicht einmal umdrehen. Von ihrem sicheren Zuhause aus könnte sie einen netten Brief schreiben und die ganze Sache hinter sich bringen. Dann würde sie allerdings nie erfahren, was er von ihrem Großvater wollte. Und er würde ein derartig selbstherrliches Benehmen vermutlich nicht freundlich auf nehmen,
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