Viscount und Verfuehrer
sich, wie sie am Nachmittag im Garten gesessen hatte, wie der Wind in ihrem Haar gespielt hatte und es überall nach Lilien und Rosen geduftet hatte. Was sie jetzt wohl tut?, fragte er sich. Er stellte sich vor, wie sie im Garten saß und die Briefe las, die er ihr übergeben hatte. Ob sie wohl schockiert wäre, wenn sich herausstellte, dass ihr Großvater tatsächlich ein Verbrechen auf dem Gewissen hatte?
Er runzelte die Stirn. Er hoffte, dass sie das nicht zu sehr verstörte. Wegen Beth und ihrer ureigenen Art, das Leben zu erfahren, kam er allmählich zu der Überzeugung, in seinem eigenen Leben fehlte irgendetwas.
Etwas regte sich in seiner Brust, etwas Warmes, das sich ausdehnte. Etwas, das ein wenig an die Liebe erinnerte.
Bei Zeus, wie zum Teufel kam er jetzt auf diese Idee? Christian schüttelte den Kopf, um den lächerlichen Gedanken zu verscheuchen.
„Mylord?“ Reeves wirkte besorgt. „Geht es Ihnen gut? Haben Sie Kopfschmerzen?“
„Nein, nein, alles in Ordnung. Mir ist da nur gerade ein dummer Gedanke gekommen, das ist alles.“
„Ah. Und welcher Gedanke, wenn ich fragen dürfte, Mylord? Ich nehme nicht an, dass es etwas mit der schwarzen Weste zu tun hat, die Sie da tragen?“
„Mit Kleidung hatte es überhaupt nichts zu tun.“ „Schade“, meinte Reeves mit langmütigem Seufzen. „Wenn Sie nicht an Ihre Kleidung denken, dann muss es wohl mit Lady Elizabeth zu tun haben.“
„Reeves, ich werde es Ihnen nicht verraten.“
„Jawohl, Mylord.“ Reeves ging zur Tür. „Obwohl es natürlich schade ist... “
„Was ist schade?“
„Dass Sie um so viel Schlaf gebracht werden. Unruhige Gedanken gären in der Nachtluft, und am Ende wälzt man sich schlaflos im Bett herum. Das habe ich schon oft gesehen.“ Mit dieser fröhlichen Prophezeiung öffnete Reeves die Tür. „Ich warte draußen, für den Fall, dass Sie doch noch über die Angelegenheit sprechen möchten.“
Wütend funkelte Christian auf die Tür, die sich hinter Reeves geschlossen hatte, rief den Butler indes nicht zurück. Vermutlich hatte Reeves recht, und er würde diese Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Doch Christian hatte nicht die Absicht, über einen derart absurden Einfall zu sprechen, der zweifellos nur auf die schwierige Lage zurückzuführen war, in der Beth und er sich befanden.
Er musste sich darauf konzentrieren, das verflixte Collier zu finden. Danach konnte er sich aus Beths Leben verabschieden, das wäre für alle Beteiligten das Beste. Morgen, wenn er sie wiedersah, wollte er ganz sachlich bleiben. Nie wieder würde er der Versuchung nachgeben, sie zu küssen.
14. KAPITEL
Wenn der Dienstherr schlechter Stimmung ist, ziehe man nicht voreilig den Schluss, das Hammelfleisch sei verbrannt gewesen oder das Krawattentuch zu steif gestärkt. Nur Narren entschuldigen sich ohne Grund.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
„Was machst du da?“
Beth blickte vom Fenster der Bibliothek zu ihrem Großvater, der, schwer auf seinen Stock gestützt, in der Tür stand. „Wie du siehst, schaue ich aus dem Fenster.“
„Du wartest auf diesen Fant, nicht wahr?“
Das war mal wieder typisch für ihren Großvater - den Mann einen Fant zu nennen, den er gezwungen hatte, um ihre Hand anzuhalten. Ironisch schüttelte Beth den Kopf. „Falls du damit meinen Verlobten meinst, ja.“
„Verlobter, pah!“ Er musterte sie finster unter buschigen Brauen hervor und ging zu seinem Lieblingssessel am Kamin. Schwerfällig ließ er sich darin nieder, zog die Decke von der Armlehne und breitete sie über seinen Schoß.
Beth ging zu ihm, um ihm zu helfen und darauf zu achten, dass er gut zugedeckt war.
Er sah zu ihr auf. „Und? Wie gefällt es dir, verlobt zu sein?“ „Spielt das denn eine Rolle?“ Sie setzte sich in den Sessel gegenüber. „Großvater, bitte vergiss nicht, dass du derjenige bist, der wollte, dass ich heirate.“
„Ja, aber du warst diejenige, die sich so zum Gespött der Leute machte, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als darauf zu bestehen“, entgegnete er säuerlich. „Du hast uns beiden keine große Wahl gelassen.“
„Ein Umstand, den du zu deinem Vorteil genutzt hast. Du wolltest doch schon lang vor dem Skandal, dass ich heirate.“ „Wir hatten Glück im Unglück, obwohl ich wünschte, du hättest besser auf unseren guten Namen geachtet.“ In seinem Blick flammte echter Zorn auf.
Beth verspürte einen Stich Reue. „Tut mir leid. Du hast
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