Viscount und Verfuehrer
gehen.“ Er wandte sich um.
„Aber Großvater ... “
„Ich rede morgen mit ihm“, warf Christian über die Schulter zurück und beschleunigte seine Schritte. Nur zu bald war er außer Sichtweite. Seine Schritte konnte sie noch hören, dann das Klicken der Pforte am Seiteneingang, und schließlich eine Kutsche, die im Eiltempo davonfuhr.
Beth sank auf die Bank zurück. Ihr wirbelte der Kopf. Plötzlich entdeckte sie die leere Teetasse. An irgendeinem Punkt war sie von der Bank gestoßen worden und lag nun im Gras auf der Seite. Sie hob die zarte Tasse auf und stellte sie auf das Tablett zurück.
Morgen, hatte er gesagt. Das wäre auch bald genug. Sie griff in die Tasche und holte das Päckchen Briefe heraus. Langsam entfernte sie das Band.
Tief in Gedanken stieg Christian aus der Kutsche. Jedes Mal, wenn er Beth körperlich nahe kam, band sie ihn auch auf andere, weniger klare Weise an sich.
Doch was ihn wirklich beunruhigte, war die Art, wie sie mit ihm redete, als wären sie ... ebenbürtig. Gefährten. Partner.
Auf der obersten Stufe blieb er stehen. Die Kutsche stand immer noch am Straßenrand, sah er. Stirnrunzelnd sah er zum Kutscher hinunter. „Sie können den Wagen in die Remise fahren, ich brauche ihn heute nicht mehr.“
Der Lakai und der Kutscher tauschten einen erschrockenen Blick. Sie wirkten so entsetzt, dass Christian ein wenig verärgert die Zähne zusammenbiss. Lieber Himmel, hielt ihn denn jeder hier für einen Tunichtgut und Verschwender?
Der Lakai räusperte sich. „Mylord, sind Sie sicher, dass wir nicht einfach warten sollen? Es ist noch recht früh, und vielleicht möchten Sie ja noch ausgehen, und ...“
„Bringen Sie die Kutsche in die Remise. Für heute habe ich genug. “
„Aber ... es ist doch erst vier Uhr nachmittags, Mylord!“ „Verdammt, ich habe selbst eine Uhr!“
Der Lakai sprang einen Schritt zurück und begann, sich mehrmals zu verbeugen. „Jawohl, Mylord! Tut mir leid, Mylord! Ich wollte doch nicht...“
Reeves öffnete ihm die Tür. Er blickte von dem aufgeregten Lakaien zu Christians strenger Miene und trat bedächtig beiseite. „Willkommen zu Hause, Lord Westerville. Dachte ich doch, dass ich Stimmen höre.“
Christian betrat das Haus und legte Hut und Handschuhe ab. „Ich hatte gerade eine Diskussion über meine abendlichen Gewohnheiten.“
„Aber ja“, meinte Reeves beruhigend. Er blickte die Stufen hinab zum Kutscher und dem Lakaien, die immer noch wie vom Donner gerührt auf dem Gehsteig standen. „Seine Lordschaft ruft Sie, wenn er Sie braucht.“ Damit schloss er energisch die Tür und wandte sich zu Christian. „Ich werde den Koch mitteilen, dass Sie den heutigen Abend zu Hause verbringen. Er wird ebenfalls schockiert sein, aber vielleicht findet er ja etwas, was Ihres Dinners würdig ist.“
„Danke“, brummte Christian und wandte sich zur Bibliothek.
Der Butler gab einem Lakaien ein paar Anweisungen und folgte Christian dann. „Da Sie heute Abend zu Hause bleiben, möchten Sie, dass im Speisesaal ein Feuer entzündet wird?“
„Wie Sie wollen.“ Christian setzte sich ans Fenster und starrte blicklos auf Kutschen und Pferde hinaus, die dort vorbeikamen.
Reeves beobachtete ihn einen Augenblick und trat dann zum Kamin, um Holz nachzulegen. Nach kurzem Schweigen sagte er: „Haben Sie Lady Elizabeth zu Hause angetroffen?“ „Ja. Im Garten, um genau zu sein.“
„Und der Herzog?“
„Den habe ich nicht gesprochen. Als ich die Auffahrt entlangkam, habe ich Lady Elizabeth bei den Rosen gesehen, deswegen bin ich gleich dorthin gegangen.“ Verdammt attraktiv hatte sie ausgesehen, wie sie da so inmitten des Grünzeugs gesessen hatte. Er rieb sich über das Gesicht und fragte sich, warum die Dinge auf einmal um so vieles komplizierter erschienen. Eigentlich waren sie das doch gar nicht. Eigentlich hatte sich doch alles zum Besseren gewendet. Sie hatte sich bereit erklärt, die Verlobung rechtzeitig zu lösen, und hatte ihm angeboten, ihm bei der Suche nach dem Collier zu helfen. Das war doch sicher ein Anlass zum Feiern, oder nicht?
Stattdessen kam er sich vor wie der schlimmste Schuft auf Erden.
„Mylord, Sie wirken beinahe bedrückt.“ Reeves trat zu Christian ans Fenster. „Ich muss annehmen, dass Ihr Treffen mit Lady Elizabeth nicht gut verlief.“
„Nein, alles lief gut. Bestens sogar. Es ist nur ...“ Christian stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte sich vor. „Reeves, Sie hatten recht. Ich hätte Lady
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