Viscount und Verfuehrer
Elizabeth nie benutzen dürfen, um an ihren Großvater heranzukommen. Das war nicht ehrenhaft.“
Reeves antwortete nicht.
„Ich habe einen schrecklichen Irrtum begangen, und ich kann ihn nicht wiedergutmachen. Und nun sollen wir heiraten, obwohl sie glaubt, sie könne es noch schaffen, die Verlobung zu lösen.“
„Tut sie das, Mylord?“
„Ja. Ich kann ihr das natürlich nicht gestatten. Sie wäre ruiniert. Andererseits ist sie auch ruiniert, wenn sie mich heiratet. Ich eigne mich nicht zur Ehe ... ich kann einfach nicht.“ Christian barg das Gesicht in den Händen und wartete. Nach einer Weile hob er den Kopf und fragte: „Haben Sie mich gehört?“
„Ja, Mylord. Sie sagten, ich hätte recht gehabt und Sie unrecht und wenn Sie es ungeschehen machen könnten, würden Sie es tun.“
Christian runzelte die Stirn. „Das habe ich nicht direkt gesagt.“
„Vielleicht habe ich es mir nur vorgestellt. Ich neige manchmal zu Tagträumen, müssen Sie wissen.“
„Nun, ich würde es tatsächlich rückgängig machen. Aber ich kann nicht. Sie sollen nur wissen, dass ich von jetzt an mehr auf Ihren Rat hören werde.“
Reeves’ Blick richtete sich auf Christians Weste. „In der Tat, Mylord?“
„Außer wenn es um Kleidung geht.“
Reeves seufzte. „Ich wusste, dass es einen Vorbehalt geben würde, Mylord. Den gibt es immer.“
Trotz allem musste Christian lächeln, wenn das Lächeln auch nicht gerade strahlend ausfiel. „Ich sage Ihnen noch etwas.“
„Ich warte mit angehaltenem Atem, Mylord“, versetzte Reeves.
„Sie hatten auch recht mit Lady Elizabeth. Sie ist etwas ganz Besonderes.“
„Allerdings, Mylord. Man braucht sie nur anzusehen, um sich darüber im Klaren zu sein. Unschuld ist etwas, was man nicht verbergen kann.“
Unschuld. Christian ließ sich das eine Weile durch den Kopf gehen. Sie war wirklich unschuldig. Doch sie war auch klug, sinnlich und großzügig. Er dachte, dass es gerade dieser letzte Charakterzug war, der ihn so anzog; sie gab ohne Anstrengung - ihre Gedanken, ihre Fähigkeiten, ihr Herz.
Aber unschuldig? Das erfasste nicht ganz die Tugend, die ihr dieses sanfte Strahlen verlieh. Er hätte es eher als Herzensgüte beschrieben.
Für jemanden, der einmal in den kalten, dreckigen Gassen und Höfen Londons gehaust hatte und dessen ganzes Leben von Elend bestimmt gewesen war, für jemanden, der seine Seele schon zigmal verkauft und längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, sie je wiederzubekommen, war Beths Großzügigkeit einfach überwältigend. Und dennoch ... sehnte er sich danach. Sehnte sich nach ihr.
Christian fing Reeves’ fragenden Blick auf. „Sie ist eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe.“
„Dem muss ich zustimmen“, meinte Reeves nachdenklich. „Lady Elizabeth ist wirklich sehr schön, vielleicht die schönste Frau, die ich je kennenlernen durfte.“
„Haben Sie denn viele kennengelernt?“
„Ihr Vater war ein bekannter und beliebter Mann. Ihm fehlte es nie an weiblicher Gesellschaft.“
Christians Miene verfinsterte sich. „Dann können sie ihn nicht sehr gut gekannt haben.“
„Genau, Mylord. Und sobald sie ihn kennenlernten, sind sie gegangen.“
Christian runzelte die Stirn. „Wie meine Mutter?“
Reeves verneigte sich.
„Wirklich? Ich dachte immer, er hätte sie verlassen.“
„Er flehte sie an, zu ihm zurückzukommen, aber sie wollte nicht. Und ich mache ihr, offen gesagt, keinen Vorwurf daraus. Er war von Grund auf selbstsüchtig. Ich glaube nicht, dass er sich ändern hätte können, selbst wenn er gewollt hätte.“ Reeves hielt inne. „Ich habe mir schon oft gedacht, dass die Gabe, sich zu ändern, sich zu bessern, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie ist es, die uns Erlösung finden lässt.“
Christian ließ sich das durch den Kopf gehen. „Vielleicht war ich ein wenig starrsinnig, obwohl ich ja immer noch glaube, dass Beths Großvater schuld ist am Tod meiner Mutter. Die Beweise ... ich glaube, Beth wird mir zustimmen müssen, wenn sie erst einmal alles gelesen hat.“
Rastlos rutschte Christian auf dem Stuhl herum, wünschte sich, er könnte sie jetzt sehen. Er blickte auf die Uhr und runzelte die Stirn. Es war noch früh. Wieder einmal rieb er die Finger aneinander. Wie beschwerlich Ehrbarkeit doch war. Gott, wie er es vermisste, über die Heide zu galoppieren, den Glanz des Degens im Mondlicht, die Schreie der Vorreiter.
Es gab nichts Aufregenderes. Oder doch? Auf einmal sah er Beth vor
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