Viscount und Verfuehrer
recht.“
„Ja. Unser Name hat schon genug Schaden gelitten, als ... “ Er presste die Lippen aufeinander. „Ach, ist ja egal. Wie gesagt, am Ende hatten wir wohl noch Glück. “
„Westerville ist vermutlich ganz in Ordnung“, meinte Beth, wobei sie versuchte, ihrer Stimme einen neutralen Klang zu verleihen. „Es ist ja nicht so, als würden mir Hunderte von Verehrern die Tür einrennen. “
Seine Brauen zogen sich noch weiter zusammen. „Das kann ich mir wirklich nicht erklären. Ein so hübsches Mädchen wie du, vernünftig, wie aus dem Ei gepellt, und dann noch diese enorme Mitgift - ich verstehe einfach nicht, was da schief gelaufen ist.“
Beth blickte auf ihre Schuhspitzen. „Wer weiß? Männer sind schwer zu verstehen.“
„Nein, sind wir nicht“, widersprach ihr Großvater und stieß den Stock auf den Boden. „Wir Männer sind ganz schlichte Kreaturen. Es gibt keinen Grund, warum du keinen Anklang gefunden hast.“
Beth biss sich auf die Lippen. „Nun ja ... eigentlich gibt es schon einen Grund. “
„Was?“
„Ich ... ah, nun ja, ich wollte nicht, dass die Männer, die ich kennenlerne, dich mit Anträgen und dergleichen bestürmen.“ Sie zupfte an den Fransen eines Kissens herum, das unter ihrem Ellbogen lag.
„Weiter“, sagte ihr Großvater grimmig und mit gesträubten Augenbrauen.
„Daher dachte ich, ich könnte dem doch abhelfen.“
„Was hast du gemacht?“
„Gestottert.“
„Du hast was gemacht?“
„Gestottert. S-s-so w-w-wie jetzt.“
Er warf eine Hand in die Höhe. „Nein! “
Sie senkte den Kopf, sah dann aber verstohlen zu ihm auf. Um ihre Lippen zitterte ein Lächeln. „Doch.“
Ihr Großvater ließ die Hand sinken. „Du hast gestottert. Und alle sind davongerannt wie ...“
„Wie die Narren, die sie waren? Ja.“
Er schüttelte den Kopf, doch in seinen Augen blitzte es amüsiert auf. „Du bist unverbesserlich. Ich hoffe, Westerville weiß, was er sich mit dir eingehandelt hat! “
Beth war so klug, darauf nicht zu antworten. Die Wahrheit war, von all den Männern, die ihr in London begegnet waren, hatte sie keiner auch nur im Entferntesten interessiert. Bis auf Westerville. Was hatte der Viscount nur an sich? Attraktiv war er, aber es war mehr als das. Es war die Art, wie er sie ansah, so als wäre er aufgebracht und fasziniert zugleich. Die Hartnäckigkeit, mit der er den Verräter seiner Mutter suchte.
Beth schob die Hand in die Tasche. Das Päckchen Briefe steckte immer noch darin. Sie hatte sie gestern im Garten gelesen und dann noch zwei Mal in ihrem Zimmer, bevor sie schlafen gegangen war. Stunden später hatte sie immer noch hellwach im Bett gelegen, über den Inhalt nachgegrübelt und sich die Notlage der Frau vorgestellt, die den Großteil der Briefe geschrieben hatte, hatte das tiefe Mitleid in dem Brief des Bischofs gehört. Die Briefe waren herzzerreißend und plausibel; sie verstand, warum Christian so überzeugt davon war, dass ihr Großvater die Hand im Spiel hatte.
Und doch gab es Details, die irgendwie nicht echt klangen. Warum sollte ihr Großvater Christians Mutter Böses wün-sehen? In den Briefen war nichts zu finden, was auf eine Verbindung zwischen den beiden hingedeutet hätte. Außerdem besaß ihr Großvater außerordentlich viel Geld und mochte Juwelen nicht besonders; er selbst trug nur einen Siegelring. Was sollte er mit einem Collier anfangen?
Irgendein Stück der Geschichte fehlte. Dennoch musste Beth einräumen, dass Christians Verdacht nicht vollkommen aus der Luft gegriffen war. Die Beweise reichten zwar nicht für eine Überführung, aber sie erschienen selbst ihr bedeutsam. Auch wenn sie mit seinen voreiligen Schlussfolgerungen nicht einverstanden war, musste sie doch bewundern, wie unermüdlich er sein Ziel verfolgte.
Und dann kam noch dazu, welche Gefühle er in ihr weckte ... An diesem Morgen hatte sie eine gute halbe Stunde damit zugebracht, Annie über die beunruhigende Wirkung zu befragen, die Westervilles Gegenwart auf sie ausübte. Annie schien der Ansicht, dass Beth eine beneidenswerte Frau sei.
War sie das denn? War sie zu beneiden?
„Beth?“
Sie blickte auf und begegnete dem Blick ihres Großvaters. „Ja?“
„Warum willst du nicht heiraten?“
„Ich glaube nicht, dass ich je gesagt habe ..."
„Erzähl mir nichts! Ich weiß, was du denkst, und du willst nicht heiraten, nicht einmal Westerville.“ Er beugte sich vor. „Warum nicht?“
„Weil...“ Sie biss sich auf die Lippen. Um
Weitere Kostenlose Bücher