Vision - das Zeichen der Liebenden
tatsächlich für einen von euch haltet.«
»Das ist nicht eine Frage, sondern zwei«, sagte Argo, ohne die Augen vom Feuer zu wenden.
»Am besten eins nach dem anderen«, entschied Corvino. »Uns Wächter gibt es schon seit langer Zeit. Wir sind fast so alt wie die Medu. Unsere Aufgabe ist es, sie zu bekämpfen. In diesem langen Krieg haben wir sie schon mehrmals besiegt, doch nie endgültig.«
»Schon, aber was seid ihr? Menschen? Übernatürliche Wesen?«
»Wir sind Menschen«, erklärte Heru knapp.
»Zumindest waren wir das früher mal«, fügte Nieve hinzu. »Ich will dir erzählen, wie alles kam. Dazu müssen wir ganz an den Anfang zurückkehren: Damals haben sie sich immer mehr vermehrt. Und je zahlreicher sie wurden, desto stärker hat sich das Böse ausgebreitet, überall in der Welt…«
»›Sie‹ sind die Medu?«
Nieve nickte. »Wir wissen nicht genau, wann sie aufgetaucht sind. Wahrscheinlich mit der Entstehung der Schrift. Sie waren nur die letzten einer langen Reihe von Zauberwesen, die der Fantasie der Menschen entsprungen sind. Die meisten dieser Wesen nahmen die Gestalt von Ungeheuern oder Tieren an. Wir konnten fast alle aufspüren und besiegen. Einige wenige vegetieren heute noch irgendwo an den Rändern der Wirklichkeit vor sich hin. Die Menschen haben sie geschaffen, aber inzwischen verachten sie sie. Sie nennen sie Geister, Feen, Kobolde… Aber die Medu sind anders. Ihre Magie ist die gefährlichste von allen.«
»Warum?«
»Weil sie den Menschen am nächsten ist. Die Medu sind aus der am weitesten entwickelten menschlichen Erfindung hervorgegangen: der Schrift«, erklärte Corvino. »Du weißt ja, wie mächtig das geschriebene Wort sein kann. Es ist ihre Energiequelle und von hier nehmen sie ihre Macht. Das glauben wir zumindest…«
»Selbst wenn das stimmt: Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr sie so hasst.« Alex spürte, dass er rot wurde, als er weitersprach. »Ich kenne ein paar Medu und sie sind nicht besser und nicht schlechter als die Menschen.«
»Genau das ist das Gefährliche an ihnen.« Für einen kurzen Moment flackerte Angst in Nieves klaren blauen Augen auf. »Sie sind nicht besser und nicht schlechter als die Menschen, aber sie sind unendlich viel mächtiger. Deshalb können sie so viel Unheil anrichten. Und deshalb müssen sie verschwinden.«
Erst jetzt fiel Alex auf, dass Nieves Haut bläulich schimmerte. Ihre emotionale Reaktion hatte diesen Schimmer kurz verstärkt, doch schon einen Augenblick später war er wieder kaum mehr als ein zarter Schatten.
»Und eure Aufgabe ist es, sie aus der Welt zu schaffen?«
Corvino, Nieve und Heru nickten.
»Als das Böse damals immer weiter um sich griff, beschlossen einige Menschen, etwas zu unternehmen«, fuhr Nieve mit ihrer melodischen Stimme fort. »Du warst einer davon, Arawn. Du warst der Windmacher in einem dunklen Dorf im Norden und hattest den Mut zu etwas, das bis dahin niemand gewagt hatte. Du hast sämtliche Zauberer zusammengerufen. Und zwar dort, wo einer alten Sage zufolge die Wurzeln des Baumes, der die Welt hält, einen Hohlraum bilden. In dieser heiligen Höhle haben sich fünfzig von uns eingefunden. Wir kamen aus allen Himmelsrichtungen und wir hielten uns für mächtig. Doch bald war klar, dass wir dieser Herausforderung nicht gewachsen waren. Wir fasteten dort unten hundert Tage lang in völliger Dunkelheit und kämpften gegen unsere eigenen Dämonen. Die meisten scheiterten an dieser Aufgabe. Am Ende waren nur noch fünf – wir fünf – übrig. Als wir die Höhle verließen, waren wir nicht mehr die Alten. Die harte Probe hatte uns körperlich so geschwächt, dass wir nur noch ein Schatten unserer selbst waren. Doch unser Geist, stärker denn je, trat an die Stelle unseres Körpers. Wir waren unsterblich, Arawn, zumindest haben wir das am Anfang gedacht. Denn du bist schon unendlich viele Male gestorben.«
»Hör auf, ihn Arawn zu nennen, Nieve.« Corvino runzelte die Stirn. »Er ist nicht Arawn, auch wenn er vielleicht seine Macht geerbt hat. Arawn ist gestorben, als er begriff, worin seine Mission bestand. Als er sich für uns alle geopfert hat.«
Nieve schlug die Hände vors Gesicht. Heru sah nicht von seinem Bogen auf, aber Alex sah, dass er die Zähne aufeinanderpresste, als hätte er große Schmerzen.
»Anfangs haben wir verschiedene Strategien ausprobiert, aber sie haben uns immer wieder besiegt«, erklärte Corvino. »Ihre Magie war unserer überlegen, denn sie beruhte nicht auf
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