Vision - das Zeichen der Liebenden
Worte mischte sich ein wohliges Schnurren. Erschrocken öffnete Alex die Augen.
An der Stelle, wo Garo gestanden hatte, duckte sich ein kräftiges Tier, ein mächtiger Wolf mit grauem Rücken und weißen Beinen. Goldene Augen leuchteten in seinem Gesicht. Einige Sekunden lang taxierten Alex und das wilde Tier sich neugierig, dann drehte der Wolf sich um und lief zwischen den Bäumen der Vision davon. Seine Schritte klangen noch einen Moment lang auf dem lockeren Erdreich nach, bevor sie sich endgültig verloren.
Alex spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Seine Knie gaben nach, er sackte zu Boden und wusste nicht, ob er das Bewusstsein verlor oder nicht.
Als er seine Umgebung wieder wahrnahm, war die Vision verschwunden.
Zitternd lag er auf den eiskalten Fliesen des Flurs. Um ihn herum war es totenstill. Einen Moment lang fragte er sich, ob das sein Ende war, ob er hier sterben würde, allein und von allen vergessen. Er dachte an Garo und wünschte sich von ganzem Herzen, ihm folgen zu können, um sich für immer im Wald von Safat zu verlieren. Aber es war schon zu spät; die Vision dieser Idylle war ihm entglitten und er wusste, dass er sie nicht noch einmal herbeirufen konnte.
»Da bist du ja endlich«, ertönte plötzlich eine unbekannte Stimme über seinem Kopf. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht, mein Lieber.«
Als Alex die Augen aufschlug, blickte er in ein junges Gesicht, das ihn mit einem erleichterten Lächeln musterte. Irgendetwas an diesem Gesicht kam ihm seltsam bekannt vor, obwohl er sicher war, es noch nie gesehen zu haben.
Die Augen des Fremden waren mandelförmig und schwarz wie die Nacht. Er trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose, die langen Haare waren im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sein dunkler Teint hatte einen rötlichen Schimmer, der an das warme Licht des Sonnenauf- oder -untergangs erinnerte. Doch dieser Schimmer kam nicht von der Sonne, sondern schien von seiner Haut auszugehen.
»Ich heiße Corvino.« Der Unbekannte betrachtete ihn besorgt. »Ich bin schon eine ganze Weile auf der Suche nach dir. Wo hast du denn gesteckt?«
»In einer Vision.« Alex’ Stimme klang heiser, die Worte kamen ihm nur stockend über die Lippen.
Corvino half ihm auf und stützte ihn beim Gehen. »Du bist sehr schwach. Ich dachte nicht, dass ich dich in solch einem erbärmlichen Zustand antreffen würde…«
»Wer bist du? Was willst du von mir?«, unterbrach ihn Alex.
Corvino gab keine Antwort. Nachdenklich betrachtete Alex den rötlichen Schimmer auf seinen Händen. »Du bist einer von ihnen!« Er konnte es selbst kaum glauben, als er begriff. »Einer der Wächter. Aber warum seid ihr hier? Warum habt ihr die Festung der Drakul angegriffen? Ihr habt meinen Freund verletzt!«
»Wir mussten dich retten. Die junge Frau hat uns gerufen. Ich bin immer noch entsetzt über das, was passiert ist! Arion ist tot! Wir wussten, dass sie ihn hatten und seinen Hass benutzten, um ihn vor uns zu verbergen und sich zu schützen. Aber ein solches Ende… das hatte er nicht verdient.«
»Ich wollte nicht, dass er stirbt.« Irgendwie kam Alex sich schuldig vor. »Ich habe ihm nur den Ausgang gezeigt…«
»Den Ausgang des Labyrinths… Ja, nur du konntest das tun. In gewisser Weise war es das Beste, was passieren konnte. So haben wir erfahren, wer du bist, und konnten dich aufspüren.«
Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Alex hatte keine Ahnung, wo sie hinwollten, er ließ sich von Corvinos festem, warmem Arm um seine Schulter lenken.
»Dann stimmt es also?«, fragte er vorsichtig. »Ich bin wirklich der Letzte?«
Corvino blieb stehen, trat einen Schritt zur Seite und sah ihm in die Augen. »Das glauben wir«, sagte er. »Du hast Arion befreit.«
»Aber ich bin auch einer von ihnen. Mein Vater war ein Medu.«
Corvino nickte, als wüsste er das längst. »Jede Verkörperung des Letzten überrascht uns auf neue Weise. Tatsache ist, dass du hier bist und dass der Moment näher rückt. Es wird höchste Zeit, dass du dich vorbereitest.«
»Worauf? Die Medu zu vernichten? Das will ich nicht. Mein bester Freund ist ein Medu…« Alex unterbrach sich, als das Bild des schwer verletzten Erik vor seinem inneren Auge auftauchte. Dumpf fuhr er fort: »Oder er war es, denn wahrscheinlich ist er jetzt tot. Das Mädchen, das ich liebe, ist auch eine Medu. Und ich selbst ja eigentlich auch… Denkst du ernsthaft, ich würde euch helfen?«
Corvino nickte.
»Und wie wollt ihr mich dazu
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