Vision - das Zeichen der Liebenden
stärken?
Aber sie hatte es nicht gewollt. Weil sie niemandem etwas schuldig sein wollte und darauf vertraut hatte, ihre Ziele aus eigener Kraft zu erreichen. Und weil sie die Vorstellung, Erik etwas vorzuspielen, zu abstoßend fand.
Wenn ich mich doch in ihn verliebt hätte, dachte sie und kniff die Augen zusammen, bis sie schmerzten und flimmernde Punkte hinter den Lidern auftauchten. Dann wäre alles einfacher gewesen. Aber Erik und sie waren sich zu ähnlich. Sie waren beide in einem Klima von Ehrgeiz, Hass und Intrigen aufgewachsen, hatten von klein auf gelernt, ihre Gefühle für sich zu behalten und die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Sowohl sie als auch Erik hätten alles getan, um ihre Leute nicht zu enttäuschen.
Alex war ganz anders. Er war nicht von anderer Leute Träume und Ziele abhängig, er hatte zwar eine Familie, aber die bestimmte nicht über seine Wünsche. Selbst als er erfahren hatte, dass sein Vater ermordet worden war, hatte er sich diese Unabhängigkeit bewahrt. Alex war in erster Linie er selbst und nur sich Rechenschaft schuldig.
Als Jana die Augen öffnete, war es dunkel. Bläuliches Kunstlicht drang durch das Fenster herein, zu schwach, um weit zu reichen. Die Deckenbalken und den alten Schreibtisch, der abgesehen vom Bett das einzige Möbelstück im Raum war, hatte die Dunkelheit geschluckt und sie war dieser bedrückenden Finsternis ausgeliefert, denn es gab nicht einmal eine Lampe. Sie würde warten müssen, bis es wieder hell wurde.
Immer und immer wieder lief der Angriff der Wächter vor ihrem inneren Auge ab. Sie sah die Feuerpfeile durch die Luft sausen, hörte wieder das unmenschliche Geheul der Ghuls, die von den tödlichen Geschossen getroffen wurden, und blieb jedes Mal von Neuem an Eriks blassem, ernstem Gesicht und der tödlichen Wunde an seiner Schulter hängen. Er würde nicht überleben. Diese Gewissheit quälte sie so sehr, dass sie das Gefühl hatte, verrückt zu werden.
Irgendwann schlief sie erschöpft ein. Im Traum glaubte sie zu sehen, wie Alex von einem Rudel Wölfe zerfetzt wurde, und schreckte hoch. Als sie die Lider öffnete, juckten ihre Augen und über der Dunkelheit lag ein feiner Rauchschleier. Am anderen Ende des Raumes, auf dem Schreibtisch, brannte eine Kerze. »Wer ist da?«, stieß sie mit einem trockenen Brennen im Mund hervor.
Niemand antwortete, aber in der Stille der Nacht war deutlich ein raues Keuchen zu hören.
Janas Herz machte einen Satz, stolperte vor Angst und Entsetzen und begann dann zu rasen. Panisch kniff sie die Augen zusammen und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen, bis sie schließlich ganz in ihrer Nähe einen hoch aufragenden, bedrohlichen Schatten erkannte, der auf einem Stuhl saß. »Was… was willst du?«, flüsterte sie.
Die Gestalt erhob sich, kam langsam auf sie zu. Erst als sie direkt vor ihr stand und sich über sie beugte, erkannte Jana Obers Züge. »War es das, was du wolltest?« Der Drakul-Anführer sank neben ihr auf die Pritsche.
Seine Stimme klang dumpf und ausdruckslos, jegliche Aggression war daraus verschwunden. Jana fuhr hoch und rutschte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Das Klirren der Kette hallte unnatürlich laut durch die Stille.
»Du hast uns zugrunde gerichtet.« Tiefe Müdigkeit lag in Obers Worten. »Mit deinem lächerlichen Ehrgeiz hast du alles zerstört. Deine Mutter wäre sicher stolz auf dich, es hat dich nur Sekunden gekostet, all das zu vernichten, wofür sie ihr Leben lang gekämpft hat.«
Jana mobilisierte ihre letzten Kräfte, um zu widersprechen. »Lass meine Mutter aus dem Spiel«, zischte sie. »Du hast sie umgebracht. Glaubst du, ich wüsste das nicht? Wenn du sie am Leben gelassen hättest, wäre nichts von alldem passiert.«
In der Dunkelheit war ein trockenes, freudloses Lachen zu hören. »Auge um Auge, Zahn um Zahn. War es das, was du wolltest? Tja, jetzt siehst du, wohin es dich geführt hat.«
»Ich wollte mehr als einfach nur Rache. Ich wollte den Traum meiner Mutter wahrmachen. Die Drakul haben lange genug an der Spitze der Medu gestanden! Und es war mir egal, was es kostet.«
Jana war sich allerdings gar nicht mehr so sicher, ob das wirklich der Grund gewesen war. Vielmehr hatte sie sich in dieser langen Nacht mehr als einmal gefragt, wieso sie sich in dem entscheidenden Moment im Sitzungssaal eigentlich so verhalten, wieso sie die Wächter gerufen hatte. Sie hatte keine klare Antwort darauf gefunden.
Doch Ober schien auf ihre
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