Vision - das Zeichen der Liebenden
bisher keine Sekunde an dieses Gerede über Magie geglaubt, aber es reizte ihn zu testen, wie lange David noch an seiner schwachsinnigen Geschichte festhielt.
»Du hast gesagt, das ist ein ›Liebesknoten‹«, fing er an.
Janas Bruder nickte. »Ein sehr mächtiges Motiv. Ich habe noch ein bisschen daran gefeilt, bis du gekommen bist. Wie gesagt, Jana übernimmt den psychologischen Part, in dem das Motiv entsteht, und ich den künstlerischen, ich gestalte die Zeichnung aus. Sie zeichnet auch nicht schlecht, aber ich bin besser.«
»Und wer sorgt für die Magie?« Alex hatte Mühe, ernst zu bleiben.
»Also… wir beide. Jeder Teil des Verfahrens trägt dazu bei.«
David deutete stumm auf die Lederbank. Alex ging darauf zu. Er legte sich auf den Bauch. Die Farbfläschchen auf dem Beistelltisch befanden sich jetzt so nah vor seinen Augen, dass er die Aufschriften lesen konnte. »Wassergrün«, »Blassrosa«, »Pastellorange«, »Elfenbein«, »Jeansblau«, »Silbergrau«. Sie waren in Frakturschrift gedruckt, auf allen Etiketten prangte ein Drachenkopf.
»Übrigens, ich an deiner Stelle würde es mir gut überlegen, bevor ich mir so ein Tattoo machen ließe«, fuhr David fort. »Ach so und du hast mir auch noch gar nicht gesagt, wo du es haben willst.«
»Wie wär’s auf der Schulter?« Alex hatte sich auf den rechten Ellbogen gestützt.
»Gute Stelle. Okay, dann zieh mal das T-Shirt aus.«
Alex gehorchte. Dann legte er sich wieder hin. Kurz darauf spürte er, wie David ihm den Rücken mit einer kalten, glibberigen Substanz einrieb.
»Antiseptikum. Es ist besser, kein Risiko einzugehen.«
Alex schloss die Augen, er konzentrierte sich ganz auf die routinierten, sanften Bewegungen von Davids Händen. Wieder wanderten seine Gedanken zu der Schlange auf Janas nacktem Rücken. »Was macht das Tattoo denn jetzt mit mir?«, fragte er.
David antwortete nicht sofort.
»Wenn es funktioniert, bleibst du für immer mit der Person verbunden, an die du beim Tätowieren denkst.«
»Ganz egal, wie sich diese Person verhält?«
»Egal, wie sie sich verhält.«
Jetzt wurde ihm einiges klar. Wie es aussah, hatten die beiden Geschwister verabredet, ihn auf die Probe zu stellen. Na gut, wenn sie pokern wollten, würde er mitmachen. Vielleicht war das hier eine Art Ritual, um in den engeren Kreis dieser seltsamen Familie aufgenommen zu werden. Wie auch immer, es war ihm egal. Selbst wenn das mit der Magie gestimmt hätte, wäre er nicht vor dem, was gerade passierte, zurückgeschreckt. Er war verrückt nach Jana. Die Vorstellung, für immer an sie gebunden zu bleiben – was auch immer das heißen mochte –, machte ihm keine Angst. »Na gut. Dann mal los«, sagte er. »Ich bin bereit.«
Davids Hände lösten sich von seiner Haut. In der Stille, die folgte, war nur sein schneller werdender Atem zu hören. »Es wird nicht wehtun. Das mit den Nadeln ist eigentlich nur Show. Magische Tattoos werden anders gemacht. Ohne Nadeln.«
Wieder glitten Davids Fingerspitzen über Alex’ Rücken bis hoch zu seiner rechten Schulter. Dann spürte Alex ein schnelles, sanftes Klopfen, das Kreise auf seiner Haut beschrieb. Es war entspannend.
»Macht ihr auch normale Tattoos?«, fragte er.
Davids Klopfbewegungen auf seiner Schulter wurden immer leichter.
»Klar. Diese Art von Aufträgen ist besonders. Sie werden sehr gut bezahlt, aber trotzdem müssen wir, um davon leben zu können, auch andere Arbeiten annehmen, die weniger… künstlerisch sind.«
»Hast du eigentlich mal Erik tätowiert? Du kennst ihn bestimmt noch aus der Schule. Er hat mehrere Tattoos, aber ich habe ihn nie gefragt, wer sie ihm gestochen hat.«
Davids Finger stoppten abrupt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihre Arbeit wieder aufnahmen.
»Erik kommt nicht hierher«, sagte er schließlich knapp. »Er lässt sich woanders tätowieren.«
Die Finger auf Alex’ Rücken wirkten deutlich kälter als vorher und das Klopfen war zwar noch immer leicht, aber seltsam schmerzhaft. Eine dumpfe, unterdrückte Wut lag in den kurzen Berührungen, die Alex spüren konnte. Was war denn auf einmal los? War David sauer, weil Erik zur Konkurrenz ging? Irgendetwas schien ihn jedenfalls ziemlich verärgert zu haben.
Doch schon bald wurden Davids Bewegungen wieder sanft und gleichmäßig wie vorher. Ein paar Minuten verstrichen, dann steigerte sich der Rhythmus der leichten Schläge. Alex merkte, dass er müde wurde. Er schloss die Augen und dachte wieder an Jana, an ihr
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