Vision - das Zeichen der Liebenden
Augen fest auf ihr blasses, zartes Gesicht gerichtet, auf ihre großen, herausfordernd blitzenden Augen, auf ihre weichen Lippen, die süß und verlockend waren wie Himbeeren. Mit jedem Schritt bohrten sich die imaginären Nadeln des Tattoos ein wenig tiefer in seine Haut. Trotzdem war er entschlossen, erst stehen zu bleiben, wenn er bei ihr war und sie berühren konnte.
Da schnitt ihm jemand den Weg ab. »Hey, kennst du mich noch?«
Erik. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Besorgnis im Blick funkelte er Alex an, während er sich mit seiner beeindruckenden Statur so vor dem Freund aufbaute, dass dieser ihn hätte zur Seite schubsen müssen, um weiterzugehen.
»Wir reden später, Erik.« Alex versuchte, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. »Im Ernst, es geht jetzt nicht.«
Ohne sich einen Millimeter zur Seite zu bewegen, drehte Erik sich so weit um, dass er Jana an der Mauer lehnen sah. Ihre Blicke trafen sich nur einen kurzen Moment – doch Alex entging die stumme Warnung nicht, die in Janas Augen aufblitzte. »Wegen ihr, oder? War ja nicht zu übersehen, wie du sie angestarrt hast.« Erik packte ihn fest am Arm und zerrte ihn in die entgegengesetzte Ecke des Schulhofs. »Sag mal, bist du jetzt völlig durchgeknallt? Komm zu dir, Mann! Du hast gerade ausgesehen wie ein Tiger, kurz bevor er sich auf seine Beute stürzt!«
Alex wand sich aus Eriks hartem Griff. Wut schoss in ihm hoch. »Lass mich in Ruhe, das ist allein meine Sache!«, zischte er.
Die beiden Freunde funkelten sich an. Eriks Augen wirkten so klar und gelassen wie immer und doch erkannte Alex etwas in seinem Ausdruck, das neu war.
Eine Spur von Hass. Oder vielleicht auch Angst.
Und noch etwas anderes war da, in Eriks Nacken. Etwas, das Alex rief und lockte und sein Tattoo noch heftiger schmerzen ließ. Ein Echo der Nadelstiche auf seiner Haut.
Ohne etwas zu sagen, legte Alex seinem Freund den Arm auf die rechte Schulter und fasste ihm in den Nacken. Er glühte. Bevor Erik reagieren konnte, stand Alex hinter ihm und schob den Kragen seiner Jacke zurück.
Tatsächlich: Da war noch ein Tattoo. Nicht der winzige, verblasste Skorpion, den er kannte, sondern ein viel komplizierteres und auffälligeres Exemplar. Ein großer silbriger Skorpion, der langsam über die Haut zu kriechen schien, als wäre er lebendig.
Wie Janas Schlange, dachte Alex. Er merkte, dass er eine Gänsehaut hatte.
Erik, der bisher einfach nur reglos dagestanden hatte, wand sich mit einer schnellen Bewegung aus Alex’ Griff und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. »Was hat sie mit dir gemacht, Alex?«, fragte er mit wuterstickter Stimme. »Ich muss wissen, was sie mit dir gemacht hat.«
Alex konnte Jana nicht sehen, weil Erik ihm immer noch die Sicht versperrte, aber er wusste, dass sie noch an der Mauer lehnte und jede ihrer Bewegungen aus der Ferne verfolgte. »Was ist das für ein Tattoo in deinem Nacken?«, fragte er. »Das hattest du am Freitag noch nicht.«
Wie versteinert starrte Erik ihn an. »Sie haben dich tätowiert.« Es klang, als könnte er seine eigenen Worte nicht glauben. »Das kann nicht sein. Sie haben dich tätowiert.«
»Ich habe sie darum gebeten.« Alex zwang sich zu einem Grinsen. »Ich hab zufällig erfahren, dass sie Tattoos machen, und mir eins gewünscht. Sie sind echt gut… Wusstest du das?«
Eriks Augen blickten durch ihn hindurch, blind vor Zorn. »Deswegen bist du mit so einem Gesicht auf sie zugegangen. Als gäbe es niemand anderen mehr auf der Welt.« Seine Stimme war so voller Hass, dass es Alex kalt über den Rücken lief.
»Ich wollte zu ihr, weil ich sie liebe, Erik«, sagte er ruhig. »Ich will jede Minute meines Lebens in ihrer Nähe verbringen. Ich halte es kaum aus, von ihr getrennt zu sein. Ich weiß nicht, ob du so was schon mal für jemanden empfunden hast. Es ist schrecklich, aber gleichzeitig auch… unglaublich. Das Beste, was ich je erlebt habe.«
Erik schien ihm gar nicht zuzuhören. Er sah aus, als sei er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Sie hat was mit dir angefangen?« Sein Gesicht war ein einziger Ausdruck der Fassungslosigkeit. »Sie hat dich mit nach Hause genommen? Ich hätte nie gedacht, dass sie so weit gehen würde! Was habt ihr gemacht?«
Alex lachte auf. »Meinst du nicht, du gehst gerade ein bisschen zu weit? Für wen hältst du dich eigentlich? Den Großinquisitor? Vergiss es, von mir erfährst du nichts.«
Wieder packte Erik ihn hart am Arm, zog ihn in eine Ecke des Schulhofs
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