Vision - das Zeichen der Liebenden
Stocken.
»Ihr seid immer sehr selbstständig gewesen, alle beide. Das habt ihr von eurem Vater. Ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann. Meine Arbeit ist mir sehr wichtig, Alex. Natürlich, wenn ich nicht wäre, würde jemand anderes sie machen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich damit etwas Gutes bewirken kann, und das bedeutet mir wirklich viel.«
Zu viele Erklärungen, dachte Alex. Fast hatte er ein wenig Mitleid mit seiner Mutter. »Ich weiß«, erwiderte er sanft. »Das verstehen wir doch auch. Es ist das Beste für dich.«
Ein wenig verlegen sahen sie sich an. So viel Nähe hatte es schon seit Langem nicht mehr zwischen ihnen gegeben.
»Ich war fast verrückt vor Angst um dich, Alex.« Seine Mutter strich ihm über die Haare. »Du hast hohes Fieber gehabt und die Ärzte wussten nicht, was mit dir los war. Sie haben sogar dein Gehirn gescannt gestern Abend. Auf den Bildern war Gott sei Dank alles normal, das hat uns ein bisschen beruhigt. Was ist denn eigentlich passiert?«
Alex setzte seine Unschuldsmiene auf. Früher hatte seine Mutter immer schallend gelacht, wenn er dieses Kleine-Jungen-Gesicht gemacht hatte, aber diesmal blieb sie ernst. »Ich hab mich mit einem Mädchen aus meiner Klasse unterhalten. Plötzlich war mir schwindelig… Dann wurde alles schwarz und ich bin umgekippt. Bestimmt bin ich ohnmächtig geworden, weil ich kaum was gefrühstückt hatte.«
»Das glaube ich nicht«, unterbrach Helena ihn. »Dann hättest du kein Fieber gehabt… Und was ist das eigentlich für ein Tattoo auf deiner Schulter? Seit wann hast du das? Warum weiß ich nichts davon?«
»Äh… ach so, das. Tut mir leid, Mama, das war eine ganz spontane Sache.«
»Das war sehr leichtsinnig von dir, Alex. So etwas kann hochgefährlich sein, wenn die hygienischen Bedingungen nicht gut sind. Du hast dir garantiert eine Infektion geholt! Ich habe den Ärzten schon gesagt, dass sie das ganz genau untersuchen sollen. Ich hoffe nur, es ist nichts Ernstes.«
»Dass ich ohnmächtig geworden bin, liegt bestimmt nicht an dem Tattoo, Mama. Der Typ, der es mir gemacht hat, kennt sich genau damit aus. Es ist sein Job.«
Irritiert zog seine Mutter die Augenbrauen hoch. »Es ist sein Job? Mit fünfzehn Jahren? Alex, bitte lüg mich nicht an. Ich weiß, dass es der Bruder von dieser Jana war, Erik hat es mir erzählt. Es ist unglaublich, dass die Behörden bei so etwas nicht einschreiten, das Ganze ist doch illegal. Zwei Minderjährige, die ein Geschäft betreiben. Und was für ein Geschäft! Aber natürlich: Bei ihnen macht man eine Ausnahme. Ihre Familie war früher sehr angesehen in der Stadt und das scheint noch immer großes Gewicht zu haben.«
»Du hast ihre Eltern gekannt?« Alex war überrascht.
Helena schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind nie zu den Elternabenden gegangen. Aber die Mutter war ja immer wieder in der Zeitung. Sie war ziemlich bekannt, eine Künstlerin, sie machte Installationen, glaube ich.«
Alex zögerte, bevor er seine nächste Frage stellte. »Kannte Papa sie?«
Auf der Stirn seiner Mutter erschien eine Falte. »Dein Vater? Ja, der kannte sie besser. Sie waren beide auf Los Olmos. Na, du weißt ja selbst, wie exklusiv es dort zugeht.«
In ihrem Ton schwang Verachtung mit, auch wenn sie das nie offen zugegeben hätte. Helena schwieg und fixierte ihren Sohn ein paar Sekunden. Es machte den Eindruck, als suche sie nach den richtigen Worten. »Alex, gehst du mit diesem Mädchen?«, fragte sie leise.
Es entstand eine kleine Pause.
»Nein, aber das würde ich gerne. Warum? Hast du was dagegen?«
Seine Mutter rutschte unruhig auf dem Bett hin und her. »Ich will mich nicht in dein Leben einmischen. Das ist überhaupt nicht meine Art, das weißt du ja. Aber ich muss es dir trotzdem sagen: Ich glaube nicht, dass dieses Mädchen zu dir passt.«
»Du redest, als würde ich sie morgen heiraten.« Alex verzog das Gesicht. »Also ehrlich, Mama, ich glaube, jetzt gehst du ein bisschen zu weit.«
»Nimm die Sache bitte ernst, Alex! Ich habe nichts gegen Jana, wirklich nicht. Aber ich glaube, du bist zu jung für so eine Beziehung und… sie tut dir offensichtlich nicht besonders gut.«
»Aber dass ich ohnmächtig geworden bin, als ich mich mit ihr unterhalten habe, heißt doch nicht, dass sie daran schuld ist. Es hätte auch irgendwo anders passieren können.«
»Es ist aber passiert, als du bei ihr warst«, beharrte seine Mutter. »Nachdem ihr euch geküsst habt.«
Das war es also. Jemand hatte
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