Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund
war irgendwie … zu offen.« Sie war sich selber nicht sicher, was sie damit meinte, doch die anderen nickten.
Sie ließen das Frühstück aus und fuhren nach Nordwesten.
Das Wetter war ausnahmsweise herrlich, und Kaitlyn war unglaublich dankbar für den Sonnenschein. Große flauschige weiße Wolken zogen über sie hinweg. Die Küstenstraße verengte sich bald zu einem einspurigen Weg, der von Bäumen gesäumt war.
»Das ist der Regenwald«, sagte Anna. Kaitlyn fand den Pflanzenwuchs etwas beunruhigend. Die Straße führte durch schier undurchdringliche Vegetation. Sie fühlte sich an ein Puzzle erinnert, das sich auf beiden Seiten der Straße wie eine Wand erhob und dessen
Teile für die verschiedenen Pflanzen zwar unterschiedlich eingefärbt waren, die jedoch fest ineinander passten, sodass sie vom Erdboden bis in den Himmel den Raum vollständig ausfüllten.
»Wir können das Meer nicht einmal sehen«, sagte Lewis. »Wie sollen wir da wissen, ob wir hier richtig sind?«
Er hatte recht. Kaitlyn stöhnte innerlich. Vielleicht war die westliche Richtung doch keine so gute Idee gewesen. Rob sagte nur: »Wir müssen immer mal wieder eine Seitenstraße zur Küste nehmen und nachsehen. Und wir fragen uns wieder durch.«
Das Problem war, dass es kaum Seitenstraßen gab und noch weniger Leute, die sie hätten fragen können. Die Straße ging einfach immer weiter und weiter, schlängelte sich durch den Wald und gab nur hin und wieder einen kurzen Blick auf die Küste frei.
Kaitlyn versuchte, sich nicht allzu sehr entmutigen zu lassen, doch während sie weiterfuhren, begann ihr der Kopf zu brummen und in ihr machte sich eine Leere breit. Sie hatte das Gefühl, als seien sie schon seit Ewigkeiten unterwegs. Drei Bundesstaaten hatten sie hinter sich gelassen, und nun waren sie im Ausland. Sie würden das weiße Haus nie finden. Wahrscheinlich existierte es gar nicht.
»Hey«, sagte Lewis. »Da gibt es was zu essen.«
Der Selbstbedienungskiosk glich jenen in Oregon,
an denen es Osterglocken gegeben hatte, doch auf diesem Schild stand: BROTTAGE: FREITAG, SAMSTAG, SONNTAG.
»Es ist Sonntag«, sagte Lewis, »und ich sterbe gleich vor Hunger.«
Sie nahmen sich zwei Laibe Mehrkornbrot und bezahlten auch dafür, weil Rob darauf bestand. Kaitlyn merkte erst, als sie den ersten Bissen im Mund hatte, wie hungrig sie war. Das Brot war fest und feucht und kühl, weil es im Freien gelegen hatte. Es hatte einen nussigen Geschmack und wirkte wunderbar sättigend. Kraft und Optimismus kehrten wieder in Kaits Körper und Seele zurück.
»Lasst uns da anhalten«, sagte sie, als sie an ein kleines Haus kamen. Auf einem Schild stand: SOOKE MUSEUM. Nachdem man ihnen auch in den großen Museen in Victoria nicht hatte helfen können, hatten sie nicht viel Hoffnung. Zudem sah es so aus, als sei das Museum geschlossen.
Es war geschlossen, doch auf Robs hartnäckiges Klopfen öffnete eine Frau. Durch die offene Haustür sahen sie, dass sich im Flur Bücher auf dem Boden stapelten. Ein Mann mit einem Bleistift hinter dem Ohr machte offenbar Inventur.
»Tut mir leid, aber … «, begann die Frau, doch Rob unterbrach sie. »Wir wollen Sie nicht lange stören, Madam«, sagte er mit dem geballten Charme eines
Südstaaten-Gentlemans. »Wir haben nur eine Frage. Wir suchen einen Ort, der vielleicht hier in der Nähe ist, und wir dachten, Sie könnten uns vielleicht helfen, ihn zu finden.«
»Was denn für einen Ort?«, fragte die Frau und blickte sich nervös um. Sie wollte offenbar wieder an die Arbeit.
»Wir wissen nicht genau, wie er heißt, aber es ist so eine Art kleine Halbinsel, und an den Rändern sind lauter Steintürme.« Kaitlyn zeigte ihr das Bild mit dem Inuksuk. Bitte, dachte sie, oh, bitte.
Die Frau schüttelte den Kopf. Sie sah Kaitlyn und Rob an, als hielte sie sie für verrückt. »Nein. Keine Ahnung, wo das sein könnte.«
Kaitlyn ließ die Schultern hängen. Sie und Rob sahen einander enttäuscht an. »Danke«, sagte Rob düster.
Sie waren schon auf dem Weg zum Auto, als sie den Mann im Museum sagen hörten: »Sind das nicht die Dinger draußen bei Whiffen Spit?«
Jede einzelne Zelle in Kaitlyns Körper schien zu Eis zu erstarren.
Whiffen Spit. Whiffen Spit, Whiffenspit, Whiffenspit …
Es war ihr, als habe sie das vielstimmige Flüstern wieder im Kopf.
Rob war glücklicherweise noch in der Lage, sich zu
bewegen. Er wirbelte herum und stellte einen Fuß in die Tür, die die Frau soeben schließen wollte.
»Was
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