Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
Kopfhörer aufgesetzt hat, meine Liebe. Weißt du noch?«
Er sah ihr direkt in die Augen, erwiderte unbewegt ihren angsterfüllten Blick. Ihr war der Gebrauch der weiblichen Form durchaus nicht entgangen. Wenn man eine Probandin hineinsetzt, spürt sie ihren Körper nicht mehr.
»Wie ich schon gesagt habe: Du hast eine fantastische Gabe, Kaitlyn. Ich möchte, dass du sie vollständig entwickelst.«
Er führte sie zum Tank.
Sie konnte sich nicht wehren. Wie bedächtig er sprach, wie entschlossen er sie festhielt … Sie hatte keinen eigenen Willen mehr.
»Hast du schon einmal von der griechischen Vorstellung des arete gehört, meine Liebe?« Er hatte seinen Stock beiseite gestellt und öffnete die Tür zum Tank. »Das bedeutet Selbstvervollkommnung, also alles zu werden, was man sein kann.« Er schob sie durch die offene Tür. »Was, glaubst du, dass du sein kannst, Kaitlyn?«
Vor ihr tat sich ein schwarzes Loch auf. Kaitlyn ging hilflos hinein.
»Mr Zetes!«
Die Stimme klang in Kaitlyns Ohren dünn und fern. Das schwarze Loch vor ihr beherrschte ihre Wahrnehmung.
»Mr Zetes, ich wusste nicht, dass Sie hier sind. Was tun Sie da?«
Der Druck auf Kaitlyns Nacken ließ nach, und sie konnte sich wieder frei bewegen. Als sie sich umdrehte, sah sie Joyce in der Tür stehen. Gabriel und Lydia waren hinter ihr.
Kaitlyn stand einfach nur da, blinzelte, versuchte zu atmen. Mr Zetes ging zu Joyce und sprach mit gedämpfter
Stimme zu ihr. Kaitlyn sah, dass Joyce sie überrascht ansah und dann den Kopf schüttelte.
»Es wird mir leid, aber ich kann es nicht ändern«, erklärte Mr Zetes mit leichtem Bedauern in der Stimme. Es klang, als sagte er: »Es tut mir leid, aber wir müssen die Kosten senken.«
Er spricht davon, dass ich gleich sterben werde, dachte Kaitlyn. Plötzlich purzelten ihr die Worte nur so aus dem Mund.
»Joyce, es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte hier nicht reingehen sollen, aber ich wollte sehen, was sich verändert hat, und es war niemand da, den ich hätte fragen können, und … es tut mir so leid. Ich hatte nichts Böses vor.«
Joyce sah sie an, zögerte und nickte dann. Sie winkte Mr Zetes ins vordere Labor und redete auf ihn ein. Kaitlyn folgte ihnen langsam, vorsichtig.
Sie konnte nicht alles hören, doch was sie hörte, ließ ihr den Atem stocken. Joyce verteidigte sie, setzte sich für sie ein.
»Das Institut kann sie gut gebrauchen«, sagte sie. Ihr sonnengebräuntes Gesicht war ernst. »Sie ist ausgeglichen, gewissenhaft und verlässlich. Anders als die anderen …« Sie brach ab. »Sie kann uns wirklich nützen.«
Gabriel stimmte ihr zu.
»Ich kann mich für sie verbürgen«, sagte er. Kaitlyn überkam eine Welle der Dankbarkeit – und Bewunderung
für den unbewegten Ausdruck in seinen grauen Augen. »Ich habe ihren Geist erforscht. Sie meint es ehrlich. «
Sogar Lydia stimmte in den Chor ein, wenn auch als Letzte.
»Sie will wirklich hier sein, und ich möchte sie als Mitbewohnerin behalten. Bitte, lass sie bleiben.«
Als sie ihnen so zuhörte, war Kaitlyn fast schon selbst überzeugt. Sie wirkten alle so sicher.
Und irgendwie funktionierte es, oder so schien es zumindest. Mr Zetes schüttelte nicht mehr bedauernd den Kopf, sondern machte ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich reckte er das Kinn vor, atmete einmal tief ein und nickte.
»Na gut, ich bin bereit, ihr noch eine Chance zu geben«, sagte er. »Ich würde allerdings gern ein wenig mehr Reue sehen, ein Zeichen dafür, dass es ihr leidtut. Aber ich vertraue Ihrem Urteil, Joyce. Und eine zweite Hellseherin können wir mit Sicherheit brauchen.« Er drehte sich zu Kaitlyn um und lächelte sie wohlwollend an. »Du und Lydia, ihr könnt schon mal zum Abendessen gehen. Ich möchte noch kurz mit Gabriel sprechen.«
Es ist tatsächlich vorbei, dachte Kaitlyn. Sie werden mich nicht umbringen. Sie geben mir etwas zu essen. Ihr Puls normalisierte sich nach und nach. Sie versuchte, das Zittern in ihren Beinen zu verbergen, während sie Lydia in die Küche folgte.
Ehe sie das vordere Labor verließ, hörte sie Mr Zetes noch einige Worte mit Joyce wechseln.
»Geben Sie ihr eine Chance, aber behalten Sie sie im Auge. Und Laurie Frost soll sie auch beobachten. Sie hat Intuition. Sie wird subversive Tendenzen aufschnappen. Und falls sie etwas findet … Sie wissen, was dann zu tun ist.«
Joyce seufzte. »Emmanuel, Sie wissen, was ich von Ihren ›Problemlösungen‹ halte …«
»Wir lassen sie bald einen Auftrag
Weitere Kostenlose Bücher