Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
lange
falsche Wimpern, dick silberfarben nachgezogene – oder gar keine – Augenbrauen, gepiercte Körper.
Wäre sie nicht vor Entsetzen über LeShans Tod innerlich eiskalt gewesen, hätte sich Kaitlyn gefürchtet. Doch in diesem Moment kam nichts an sie heran. Ein Mann in einem Leopardeneinteiler und mit einer Maske vor dem Gesicht forderte sie auf, und sie folgte ihm auf die Tanzfläche. Sie hatte mit dem Tanzen kaum Erfahrung, sah man einmal von den wenigen Malen ab, die sie es zu Hause probiert oder aber im Fernsehen gesehen hatte.
Es war zu laut, um sich zu unterhalten, und eigentlich war es ihr auch egal, was der leopardengescheckte Mann von ihr hielt. So war es die ideale Gelegenheit, über ihre Rache nachzudenken.
Und da löste sie das Geheimnis um das Zahlenschloss.
Es war nicht wie im Krimi, wo der getreue Gehilfe eine beiläufige Bemerkung fallen lässt und der berühmte Meisterdetektiv plötzlich alles klar vor Augen sieht. Es gab keinen bestimmten Anlass für ihren Geistesblitz. Doch das Problem schoss ihr immer und immer wieder durch den Kopf.
Ich muss an den Kristall kommen. Also muss ich die Zahlenkombination herausfinden.
Und als sie wieder einmal diesen Gedanken hatte, dachte sie: »Aber vielleicht habe ich die Kombination schon. Die eine Zeichnung war eine echte Prophezeiung. Was ist mit der anderen?«
Und dann war der nächste Gedanke plötzlich da, in Form einer Frage, die sich ihr stellte: Kann ein Weihnachtsbaum auf einem Schiff für acht Ziffern stehen?
Der Weihnachtsbaum war natürlich mit einer Zahl verbunden. Einem Datum. Der 25. Dezember: 25-12.
Der dunkle Saal wummerte unter Kaitlyns Füßen. Ihr Tanzpartner ließ sie im Stich, doch sie kümmerte das nicht. Sie lehnte sich gegen ein Geländer und blickte in die zuckenden Lichter.
Sie zitterte vor Erregung. Innerlich rasten ihre Gedanken wie ein Funke, der über eine Lunte auf das Schießpulver zurast. Sie wollte die neue Idee zu Ende führen
Das Schiff. Das Schiff ist auch eine Zahl. Aber welche? Es könnte die Anzahl der Masten sein oder die Anzahl der Besatzungsmitglieder oder die Anzahl der Fahrten, die es gemacht hat. Oder ein Datum, das Datum, an dem das Schiff gesegelt ist – aber was für ein Schiff ist das?
In ihrem Magen öffnete sich ein Abgrund, und sie fühlte sich richtiggehend hohl vor Frustration. Sie wusste nichts über Schiffe. Wie lange konnte es noch dauern, bis sie es herausfand, bis ihr auch nur eine Vermutung kam?
Nein, halt. Keine Panik. Das Bild hat dein Unterbewusstsein gezeichnet, also kann es nicht klüger sein als du selbst, sagte sie sich. Es kann kein Datum in ein Schiff verwandeln, wenn du das Datum und das Schiff nicht bereits kennst.
Aber ich bin so dumm, führte Kaitlyn den Streit mit
sich selbst weiter. Ein Versager in Geschichte. Ich kenne nur die einfachsten Jahreszahlen, 1492 zum Beispiel.
Da segelte Kolumbus über den Ozean.
Über den glitzernden, sanften blauen Ozean. In drei Blautönen gemalt, mit größter Sorgfalt.
Sie hatte die Lösung.
Kaitlyn wusste es, sie war sich sicher. Doch in ihrem Kopf machte sich ein zweifelndes Murmeln breit. Mr Zetes würde die Zahlenkombination doch nicht so einfach machen. Er würde sie weder mit 1492 beginnen, noch so enden lassen. Jeder, der nur einen kurzen Blick darauf würfe, würde sie nie wieder vergessen. Ein Einbrecher könnte sie rein zufällig ausprobieren.
Doch dann hatte Kaitlyn ihren zweiten Geistesblitz. Nehmen wir an, die Kombination beginnt oder endet gar nicht mit 1492, jedenfalls nicht in dieser Reihenfolge. Der Weihnachtsbaum hatte mitten auf dem Schiff gestanden, also könnte die Kombination auch für 1-4-1-2-2-5-9-2 lauten. Oder 1-4-2-5-1-2-9-2.
Um Himmels willen, oder auch für 1-1-2-2-5-4-9-2. Oder …
Kaitlyn unterbrach sich selbst. Über die verschiedenen Möglichkeiten denke ich später nach. Aber zuerst versuche ich die einfachen. Und ich werde …
Ein Kerl mit Glatze streckte ihr seine schwarze Zunge heraus. Kaitlyn zuckte zusammen, als sie merkte, dass es Mac war.
»Was ist denn los? Angst?«
Kaitlyn starrte ihm in die Schakalaugen. »Nein«, sagte sie ungerührt.
»Dann komm, wir tanzen.«
Nein, dachte Kaitlyn. Aber sie war eine Spionin, und ihre wichtigste Aufgabe war es, sich nicht schnappen zu lassen, bis sie Kristallsplitter und Kristall zusammengebracht hatte. Das war das Allerwichtigste.
»Okay«, sagte sie, und sie tanzten.
Seine Aufdringlichkeit gefiel ihr nicht. Es war nicht so, dass er sie an
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