Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Titel: Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lösel
Vom Netzwerk:
Stimme ist noch immer so kalt wie der 31. Dezember, aber ich weiß, dass dies reiner Selbstschutz ist.
Wer in aller Welt hört schon gerne, dass er nur noch wenige Tage zu leben hat?
„Ich dachte, du liebst mich.“
Was?
Endlich funktionieren meine Gelenke wieder und ich springe auf.
„Aber ich liebe dich doch, Kay! Was glaubst du wohl, warum ich dir das nicht sagen konnte?“
Nur mit aller Beherrschung, die ich aufbringen kann, gelingt es mir, nicht in Tränen auszubrechen.
„Vielleicht aus Mitleid?“
Wäre Kay nicht so unnahbar, würde ich mich auf der Stelle in seine Arme werfen. Allerdings hält mich seine Körperhaltung und nicht zuletzt seine grausamen Worte davon ab … und ich werde wütend.
„Was sagst du da?“, fauche ich, „du hast ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Denkst du …“
„Ich sage dir, was ich denke“, fällt Kay mir ins Wort, „ich denke, dass du schon ziemlich lange über dieses winzige Detail Bescheid weißt …“
Was soll das werden?
    Gütiger Gott!
Glasklar überkommt mich die Erkenntnis, dass Kay das eben Gehörte mit den Geschehnissen in der Turnhalle in Zusammenhang bringt.
    Er denkt, ich hätte die Vision bereits an unserem ersten Tag auf Castillian gehabt und hätte sie ihm die ganze Zeit über verschwiegen.
„… und alles“, fährt er mit eisiger Stimme fort, „was seit diesem Tag geschehen ist …“
„ Wage. Es. Nicht! “
Meine Stimme hallt durch unser Zimmer wie ein Peitschenknall … jenen Peitschenknall, den Kay mir soeben verpasst hat.
Beide Jungs stehen stramm wie die Zinnsoldaten.
Vic, weil er sofort erfasst hat, auf was das hier hinaus läuft – und jetzt vermutlich auch kapiert, was ich vorhin gemeint habe -, und Kay … nun ich weiß nicht, ob er froh darüber ist, dass ich ihn unterbrochen habe, bevor er sich noch ganz um Kopf und Kragen redet.
Ich atme ganz tief ein, doch es gelingt mir nicht ganz, den dicken Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken.
Meine Stimme klingt gepresst.
„Willst du wirklich andeuten, dass ich nur noch aus Mitleid mit dir zusammen bin … nur noch, um dir deine letzten Tage so angenehm, wie möglich, zu machen, mit dir schlafe?“
Wobei gerade Letzteres nicht stimmt, aber das ist mir im Augenblick ziemlich latte.
    Der bunte Gefühls-Cocktail aus Liebe, Hilflosigkeit und Panik, der mich die letzten Tage über fest im Griff hatte, bekommt jetzt noch eine weitere Zutat: Wut!
Diese hochexplosive Mischung verhindert ein rationales Denken – sofern ich dazu überhaupt in der Lage bin – wirkungsvoll.
    Anstatt wieder runter zu kommen und zu versuchen, Kay alles zu erklären, schaukele ich mich erst so richtig schön hoch.
Vic hält die Luft an.
Kay kneift die Augen zusammen und … scheint einen Moment nachzudenken …
    What the fuck ...
    Das gibt mir den Rest!
„Raus!“, brülle ich ihn an, „verschwinde sofort aus diesem Zimmer!“
„Kleines!“ Vic legt mir seine Hand auf den Arm, doch ich schüttele sie wütend ab.
Es tut mir leid, dass er meinen Frust zu spüren bekommt, denn er kann ja nichts dafür. Aber meine Wut macht mich irrational.
Kay starrt mich an. In seinen Augen flackert etwas auf.
Womöglich die Erkenntnis, was er mit seinen Worten angerichtet hat.
Ich weiß es nicht.
Und es interessiert mich auch nicht … zumindest gerade eben nicht.
Es gelingt mir, meine Tränen zurück zu halten und meine Worte mit Richtung Tür ausgestrecktem Finger zu untermalen.
Zittert mein Arm?
Kays entsetzter Blick lässt mich zwei Sekunden in meinem Entschluss schwanken.
Dann dreht er sich um und verlässt wortlos unser Zimmer.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, spüre ich, dass meine letzten Kraftreserven aufgebraucht sind. Selbst zum Heulen, fehlt mir der Antrieb.
    Wie eine Marionette, deren Fäden durchschnitten sind, klappe ich in den Armen meines Bruders zusammen.
     
     
     
     

 
    23)
     
    „ K leines“, Vic rüttelt sanft meine Schultern, „wach auf! Wir müssen Phil Bescheid sagen.“
    Wach auf?
    Ich blinzele heftig gegen das grelle Licht an und stelle mit Entsetzen fest, dass es nicht etwa die Deckenlampe ist, die meine Augen zum Tränen bringt, sondern die Sonne, die  strahlend hell durch das kleine Turmfenster herein scheint.
    „ Oh Gott, Vic! Wie spät ist es? Wieso hast du mich schlafen lassen? Warum schlafe ich überhaupt? Wie lange hab ... Kay … oh Gott, oh Gott … die Zeit ...“
    Den Versuch, aufzuspringen und durch die Gegend zu rennen wie eine

Weitere Kostenlose Bücher