Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)
mir größte Mühe, den aufwallenden Zorn in seine Schranken zu weisen.
Will ich mir wirklich den Rest meines Lebens Vorwürfe machen, unsere letzten gemeinsamen Tage in Zwietracht verbracht zu haben?
Stopp!!!
Dies nimmt eine Richtung, die ich einzuschlagen weder bereit, noch gewillt bin!
Noch habe ich knapp neunzig Stunden Zeit, der Sache eine andere Wendung zu geben.
Neunzig Stunden, in denen ich alles daran setzen werde, den Mann zu beschützen, dem mein Herz gehört … ohne den es mir nicht möglich ist, auch nur eine einzige weitere Minute meines Lebens zu verbringen.
Meinem Leben, das diese Bezeichnung ohnehin dann nicht mehr verdient, eigenhändig ein Ende zu setzen, wird verflucht schwierig.
Denn genau das ist es, was ich zu tun gedenke!
Nicht, dass ich mich mit der Art, wie ich aus demselben zu scheiden gedenke, schon näher befasst hätte.
Aber ich weiß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass ich, wenn es soweit ist, rund um die Uhr von meiner Familie begluckt werde.
Nein, Kim … nicht wenn … falls …
Nein! Nein! Nein!
Nicht eine Sekunde länger will ich darüber nachdenken.
Ich springe von meinem Stuhl und auf renne in Kay, der steif wie eine Statue - eine wundervolle Statue – vor mir steht und mich mit undurchdringlicher Miene anschaut.
Sofort schließen sich seine Hände um meine Oberarme, als ich schwanke wie ein Grashalm im Wind … geben mir jenen sanften und doch sicheren Halt, den ich so sehr brauche, wie die Luft zum Atmen.
Mit aller Kraft kämpfe ich dagegen an, mich an seine Brust zu lehnen.
Einfach das zu tun, wozu Kays liebevolle Geste mich aufzufordern scheint.
Mich ihm vorbehaltlos anzuvertrauen und mit ihm gemeinsam einen Weg zu suchen aus dem Sumpf, in den ich uns und das, was wir zusammen haben, gnadenlos versenkt habe.
Kobaltblaue Augen brennen ein Loch in meine Seele.
Sollte Kay versuchen, mir auf unsere eigene, ganz besondere Art etwas zu sagen, so kommt es bei mir nicht an.
Zu dick ist die Mauer, die ich errichtet habe.
Hastig blinzele ich die aufsteigenden Tränen weg.
„Ich … entsch … sorry ...“
Ich schaffe es nicht, dem Blick seiner wunderschönen Augen noch länger standzuhalten.
Feige befreie ich mich aus seiner Umarmung, fühle sofort die Kälte nach mir greifen.
Kays Arme fallen kraftlos zur Seite.
„Kim ...“, unternimmt er einen (letzten?) verzweifelten Versuch, mich zum reden zu bringen.
Sanft klingt seine Stimme … zärtlich … und verletzt.
Oh Gott, ich halte das nicht aus!
„ Ähm … wie lief's mit Miriam?“
Das hast du jetzt nicht wirklich gefragt, oder?
Kays Gesichtsausdruck nach zu schließen, wohl doch.
Er legt seinen Kopf schief und räuspert sich.
„Sie hat versucht, mich anzubaggern.“
„Was?“
Wäre ich nicht gerade auf dem besten Weg, unserer Liebe mit meinem Verhalten den Todesstoß zu versetzen, könnte ich mich über die Situationskomik vermutlich vor Lachen kringeln.
„Dieses verfluchte Miststück“, tobe ich, „wie kann es diese hinterhältige Schlampe wagen, sich an dich ranzuschmeißen? Sie weiß doch ganz genau ...“
„Was?“, unterbricht mich Kay bestimmt, „was weiß sie genau?“
Blitzen gleich durchzucken mich Erinnerungen …
Bruchstücke einer visionären Unterhaltung, die ich angesichts meiner letzten, so unglaublich viel wichtigeren Vision, beinahe vergessen habe …
„ Vic liebt nämlich einzig und allein Kim!“
„ Und Kim … nun … sie hat wohl genug von Kay ...“
„ Ich werde es euch beweisen!“
Wie gelähmt stehe ich da, unfähig mich zu artikulieren.
„ Kim“, wiederholt Kay leise, „ was weiß Miriam genau?“
„ ... dass ich dich liebe ...“
„ Gott, Kim ...“ Kays Stimme ist nicht mehr als ein Lufthauch. „Du kannst es ja nicht mal mehr laut aussprechen!“
Die unaussprechliche Trauer in den wundervollen, kobaltblauen Ozeanen, ist das Letzte, das ich sehe, ehe Kay sich umdreht und den Raum verlässt.
21)
D ie Tür ist noch nicht richtig hinter Kay ins Schloss gefallen, als ich mit einem trockenen Aufschluchzen zu Boden sinke.
Unfähig, meine Gelenke dazu zu bewegen, sich auch nur annähernd normal und funktionstüchtig zu verhalten, knalle ich mit voller Wucht auf die harten Dielen.
Den Schmerz, der mich durchfährt, als meine Stirn aufprallt, nehme ich nicht einmal wahr.
Unter Mobilisierung meiner ganzen Kraft gelingt es mir, auf die Knie zu kommen.
Wie in Edvard Munchs wohl bekanntestem Gemälde
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