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Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Titel: Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lösel
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wird deine Gefühle für ihn auch niemals in Frage stellen. Das einzige, das er wollte, war, dass du ehrlich zu ihm bist.“
„Hättest du es denn sein können, wenn es um Rheena ginge?“, schleudere ich meinem Bruder entgegen.
    Heute Morgen habe ich Stimmungsschwankungen wie eine Frau in den Wechseljahren, und mein Ausbruch tut mir auf der Stelle leid, als ich sehe, wie blass er bei meinen unbesonnen Worten wird.
    Umso mehr bewundere ich, dass sein ausdrucksloses Gesicht nicht einen Moment lang die Absicht erkennen lässt, mich erwürgen zu wollen.
    Vielleicht hat er sich aber auch nur perfekt unter Kontrolle.
    „Ich weiß es nicht“, beantwortet Vic ehrlich meine Frage.
    Ich nicke, fühle mich zumindest ein kleines bisschen in meinem Verhalten bestätigt, und flüchte ins Badezimmer, um meine Morgentoilette zu verrichten, nicht, ohne mich vorher versichert zu haben, nicht zufällig über Kay zu stolpern.
    Auch wenn ich mir nichts mehr wünsche, als ihm in Ruhe meine – nicht für jeden nachvollziehbare - Sichtweise darzulegen, ihm zu erklären, warum ich so und nicht anders handeln konnte, bin ich zu feige, Kay ohne die Rückendeckung meines Bruders gegenüber zu treten.
     
     
    „ Musst du nicht zum Unterricht?“
    Ich habe meine zerknitterten Jeans gegen eine bequeme Jogginghose getauscht und auch ein anderes Sweatshirt angezogen.
    Ein bereits Getragenes ... von Kay …
    So gebe ich mich wenigstens der Illusion hin, Kay ganz nah bei mir zu spüren … ihn zu riechen.
    Kraft- und saftlos schlurfe ich aus dem Bad zurück in Vics Zimmer.
    „ Sport fällt aus heute“, beantwortet mein Bruder die Frage, „ich habe uns beide krank gemeldet … es sei denn, du möchtest unbedingt ...“
„Nein!“, erwidere ich hastig.
    Die Vorstellung, mich meinen Mitschülern so zu präsentieren, wie ich mich gerade im Spiegel bewundern durfte, lässt mich schaudern.
    Die Beule auf meiner Stirn leuchtet in dunklem Violett, während meine Augen und meine Nase feuerrot und geschwollen sind.
    Außerdem behagt mir der Gedanke nicht, Kay zu begegnen … jedenfalls nicht ohne die dringend benötigte  Rückendeckung meines Bruders.
    Bevor ich mich wieder auf das Bett werfen kann, schnappt Vic mein Handgelenk, schwenkt mich herum und drückt mich auf einen der zwei Stühle an dem kleinen Tischchen.
    „ Nix da, Schwesterchen“, sagt er bestimmt, „du wirst jetzt etwas essen!“
    „ Wenn’s sein muss“, murmele ich.
    „ Ja, muss sein!“
    Vic schiebt mir eine Brötchenhälfte rüber. „Iss!“
    Ohne hinzusehen, knabbere ich brav daran herum. Schmeckt wie Pappe! Schnell spüle ich mit einem großen Schluck Kakao nach … auch wenn ich mit einer Tasse Kaffee heute Morgen besser bedient wäre.
    Aber das Wissen, dass mein Bruder meine Vorliebe für heiße Schokolade kennt, wärmt mein Herz und ist ein ähnlicher Energiespender, wie eine große Tasse Kaffee.
    Vic lässt mir Zeit, herunter zu schlucken. Dann schenkt er mir ein aufmunterndes Lächeln.
    „ Und jetzt, Kleines, will ich alles wissen … und dieses Mal wirklich von Anfang an!“
    Schonfrist vorbei!
    „Also gut“, murmele ich, „ich hatte schon eine Vision … äh … das hast du dir bestimmt schon gedacht …“
„Kim … Herrgott nochmal … lass das Drum-herum-Gelabere und komm zum Punkt!“
    Vics barscher Ton bringt mich endgültig zur Vernunft.
    Himmel nochmal, wir haben keine Zeit für Spielchen!
    „ Okay!“
    Ich hole tief Luft und erzähle von unserem ersten Schultag …
     
     
    „Glaub mir, Vic“, schließe ich, „ich hab nicht mal gewusst, was da mit mir passiert ist. Es war ein so entsetzliches Gefühl der Machtlosigkeit, dass ich froh war, genügend Ablenkung gehabt zu haben, um diesen Scheiß zu vergessen.“
Mein Bruder mustert mich intensiv.
    „ Und du warst bei dieser Unterhaltung dabei?“
    „ Nicht wirklich“, gebe ich zu, „irgendwie war ich … na ja … schemenhaft … wie ein Geist. Ich weiß noch genau, wie ich Miriam an ihren Schnakenhals wollte und meine Hände einfach ins Leere griffen.“
    Vic beißt sich auf die Unterlippe.
    „Aber das ist es nicht, was dich tatsächlich beschäftigt“, treffe ich den Nagel auf den Kopf, wie mir das bleiche Gesicht meines Bruders deutlich macht.
    „ Was macht dir mehr Angst?“, frage ich, „dass Rheena Lily … oder noch schlimmer … dieser Schlampe Miriam glauben könnte? Oder …?“
„Und du hast nicht gesehen, was es war, dass dieses Aas aus der Tasche gezogen hat?“,

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