Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)
Irre, macht mein Körper nicht mit. Ich schaffe es gerade mal, mich halbwegs aufzurichten, als ich ermattet wieder zurück in die Kissen falle.
Bisher war mir nicht klar, dass seelische Belastung ebenso an den Kräften zehren kann, wie körperliche Anstrengung. Von ersterer hatte ich gestern wahrlich genug.
„Hey!“ Vic streichelt mir tröstend über die Haare. „Ich war froh, dass du nach all dem Stress gestern zur Ruhe gekommen bist. Und da ich dich nicht wecken wollte, bin ich wohl selbst irgendwann eingeschlafen. Tut mir leid, Schwesterchen!“
Vic wirkt ehrlich zerknirscht und sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen.
„ Nein“, widerspreche ich, „mir tut es leid, dass ich dich eben so angefahren habe. Hätte ich nicht so unbesonnen reagiert und mich damit an dich oder Phil gewandt, wäre es jetzt vielleicht nicht schon zu spät.“
Bei meinen letzten Worten kommen mir schon wieder die Tränen.
„ Schhh“, macht Vic, „geh ins Bad, mach dich frisch und dann setzen wir Phil davon in Kenntnis, dass du Visionen ...“
Vic hält inne, als er spürt, wie ich mich bei dem Wort Visionen versteife.
Ohne Hintergedanken sagte er Visionen , nicht wissend, dass es tatsächlich mehr als nur eine Vision war, die ich hatte.
Okay … es waren bloß zwei … und somit mehr als eine!
„Kim?!“ Sein Ton ist lauernd. „Gibt es da noch etwas, das ich wissen sollte?“
Ich schließe für einen Moment die Augen, weiß aber, dass mich dies nur für ein paar Sekunden rettet.
Vic wird eh nicht nachgeben, dann kann ich es auch gleich hinter mich bringen.
„ Du … du sagtest … Visionen … also … plural ...“
Mein Bruder sagt kein Wort. Das ist auch nicht nötig. Er kennt mich gut genug, um mehr als nur zu ahnen, dass gleich der nächste Hammer folgt.
„Das war nicht meine erste Vision“, gebe ich dann auch leise zu.
„ Um Gottes Willen, Kim“, flucht Vic verhalten, „spuck's aus!“
„ Darf ich zuerst duschen?“
Hab ich das gerade wirklich gefragt?
Ich kann nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Ganz gewiss leidet meine Intelligenz unter den Vorkommnissen der letzten Tage und Stunden.
Himmel, Kim, du hast keine Zeit zum duschen .. und das mit der Intelligenz sei auch mal dahin gestellt!
„Entschuldige“, bitte ich hastig, als ich Vics irritierten Blick wahrnehme, „ich geh mir nur schnell die Zähne putzen.“
„Okay, mach das. Ich organisiere inzwischen Frühstück!“
Bei dem Gedanken, etwas durch meine wunde Kehle zu pressen, greife ich mir an den Hals. Außerdem erzeugt die Aussicht auf Nahrungsaufnahme unschöne Gefühle in meinem Magen, dessen Wände sich mehrmals kurzzeitig zusammen ziehen, bevor sie eine ungesunde Menge an Magensaft mit Höchstgeschwindigkeit durch meine Speiseröhre katapultieren.
Gott, ist mir schlecht!
„Du musst etwas essen“, schlussfolgert mein Bruder meine Grimasse richtig.
Er hat ja Recht … niemandem, am allerwenigsten Kay, ist damit gedient, wenn ich jetzt zusammenklappe wie ein Schweizer Taschenmesser.
„Ach und Kim ...“
Vics Stimme lässt mich innehalten.
„ Ich weiß, dass das, was du Kay vorwirfst, nicht stimmt!“
„Was werfe ich ihm denn vor?“, blaffe ich meinen Bruder an.
Reiner Selbstschutz, um mein schlechtes Gewissen nicht in schwindelnde Höhen zu treiben.
„Kay hat nicht eine Sekunde geglaubt, dass du nur noch aus Mitleid mit ihm … ähm ... zusammen bist“, sagt Vic sanft.
„ Und warum, zur Hölle, hat er es dann gesagt?“
Wütende Tränen suchen sich den Weg über meine Wangen.
„Weil du es mit deinem Verhalten geradezu darauf angelegt hast“, macht mein Bruder mir klar.
Wie bitte?
„Überleg doch mal“, fährt Vic unerbittlich fort, „hast du ihm denn überhaupt eine Chance gegeben, überlegt zu antworten?“
„Ich … ähm ...“
Wenn ich ehrlich sein soll … nicht wirklich!
Aber hat er nicht gesagt, ich habe aus Mitleid …
Nein, verflucht, das warst du selbst, Kim!
Ehe Kay antworten konnte, habe ich ihn wie ein wild gewordenes Tier angefaucht und ihm alle möglichen Theorien an den Kopf geworfen.
„ Siehst du?“, fragt Vic, ohne Schwierigkeiten mein Schweigen richtig deutend. „Kay war wütend darüber, weil du ihm genau das unterstellt hast. Nur darum hat er diesen Schwachsinn schließlich gegen dich verwandt.“
„Glaubst du?“, nuschele ich.
„ Natürlich, Schwesterchen“, antwortet Vic im Brustton der Überzeugung, „Kay hat niemals an deiner Liebe zu ihm gezweifelt und
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