Visite bei Vollmond
doch nicht etwa verletzt, oder?«
Ich ignorierte die
ausgestreckte Hand und stand alleine auf. »Nicht so, dass es mich gestört
hätte.« Schnell sammelte ich meine Klamotten ein und zog sie an. »Ich gehe dann
mal besser in mein Zimmer.«
Er musterte mich fragend. »Was
ist denn jetzt los, Edie?«
Ich konnte es Lucas nicht
erklären â ich brauchte einfach Abstand, und zwar sofort. Nie wieder wollte ich
hoffen. Das hatte gar nichts mit ihm zu tun, sondern einfach damit, dass mein
Leben wahrscheinlich schöner war, wenn ich niemanden hineinlieÃ. Ich schnappte
mir Minnies Katzenbox â da sie an meine Eroberungen gewöhnt war, schlief sie
inzwischen tief und fest â, ging in das Gästezimmer, das Lucas mir zugeteilt hatte,
und schloss mich dort ein. An den Wänden hingen Nascar-Poster. Und die
Bettwäsche war blau, mit gelben Sternen und Raketen drauf. Anscheinend war das
hier ein Kinderzimmer. Ich legte mich aufs Bett und schloss die Augen.
Es klopfte an der Tür. »Alles
okay, Edie?«
»Könntest du mich bitte von
drauÃen aus bewachen?«, rief ich durch die Tür.
Keine Antwort. Nach ein paar
Minuten winselte es drauÃen, einmal, zweimal. Ich wartete, aber es hörte nicht
auf.
»Bitte, Lucas, lass das.« Am
Fuà der Tür wurde gekratzt. »Du ruinierst noch den Teppich.« Kratz, kratz. Ich
gab auf und öffnete die Zimmertür.
Der Wolf kam herein und sprang
auf das Bett, wogegen die Bettfedern mit einem Quietschen protestierten. Er
legte sich hin, bettete den Kopf auf die Pfoten und gähnte. Seine Augen
starrten mich noch ein letztes Mal durchdringend an, bevor er sie schloss. Da
ich keine Ahnung hatte, was ich nun tun sollte, blieb ich reglos stehen.
SchlieÃlich machte ich das
Licht aus und kroch zu dem Wolf ins Bett. Er blieb Wolf. Pelzig, warm, mit
heiÃem feuchten Atem. Seine Zunge glitt einmal über meinen Nacken. Da schlang
ich die Arme um seinen Hals, vergrub mein Gesicht in seinem Fell und weinte.
Als ich aufwachte,
schien die Sonne durch die karierten Vorhänge, und neben mir lag eine fremde,
beige-grau gefleckte Katze. Träge öffnete sie ein Auge. »Marguerite?«, riet
ich. Das Auge schloss sich wieder.
Das Zimmer war mir völlig
fremd, und mit einem Schlag fiel mir alles wieder ein â auch was vor dem Sex
passiert war, genauso wie mein rasanter Rückzug danach.
Ich stemmte mich auf die
Ellbogen hoch. »Lucas?« Er würde bestimmt reden wollen, und ich würde nett sein
müssen.
Marguerite wachte endgültig auf
und leckte ihre Pfote. Als ich mich umsah, entdeckte ich auch Minnie: Sie saÃ
immer noch in der Katzenbox und verteidigte ihr kleines Heim. Ich stand auf.
Zähne putzen war überfällig, und da ich nach dem Sex nicht geduscht hatte,
fühlte ich mich jetzt eklig. Doch zunächst machte ich mich auf den Weg ins
Wohnzimmer. »Lucas?«
Auf dem Sofa saà Jorgen. Sein
kahler Kopf erinnerte mich an eine Schlange. »Die Prinzessin ist endlich
erwacht.«
»Hallo, Jorgen.«
»Helen möchte mit Ihnen
sprechen. Sie erwartet Sie bereits im Haupthaus.« Mein Gürtel lag noch auf dem
Boden. Ich wartete, bis Jorgen gegangen war, erst dann hob ich ihn auf.
Aus den Klamotten, die
ich im Koffer mitgebracht und die ich bei meiner Ankunft getragen hatte,
stellte ich mir ein einigermaÃen passables Outfit zusammen. Meine Jeans von
gestern Abend lag gewaschen und ordentlich zusammengelegt auf dem Sofa. Kurz
fragte ich mich, ob das Lucasâ Werk war, oder ob die Wäsche von anderen
Rudelmitgliedern gemacht wurde. SchlieÃlich zog ich meine Stiefel an und ging
hinaus â wenigstens die kalte Luft fühlte sich sauber an.
Als ich die Hintertür des
Haupthauses erreichte, wurde sie von Jorgen geöffnet. Während Lucasâ Gästehaus
den Flair eines Fertighauses aus dem Katalog hatte, wirkte das Haupthaus
wesentlich schöner. Böden und Möbel waren aus dunklem Holz, und das Esszimmer,
in das Jorgen mich führte, war edel ausgestattet: Holz- und Marmorelemente
sowie Messinghalter an den Wänden, an denen eisernes Kochgeschirr hing. Helen
war gerade dabei, sich eine Tasse Tee einzuschenken, als ich eintrat.
»Edie â vielen Dank, dass Sie
gekommen sind. Haben Sie gut geschlafen?«, fragte sie mit einem hintergründigen
Lächeln und reichte mir eine filigrane Tasse. Das Ding schien für den täglichen
Gebrauch
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