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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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Ausnahme. Die Sonne war
kaum zu sehen, sie versteckte sich hinter dicken Wolken und versorgte uns mit
einem trüben Licht, das an das Anfangsstadium einer Migräneattacke erinnerte.
    Ich stieg aus dem Wagen,
drückte den Knopf runter, schlug die Tür zu und ging Richtung Eingangshalle.
Auf dem kleinen Rasenflecken davor stand jemand und kotzte in einen Mülleimer.
Wann kann man sich besser eine kleine Alkoholvergiftung gönnen als zu den
Feiertagen? Ich beschleunigte meine Schritte, damit der Typ mich nicht auch
noch nach dem Weg fragen konnte.
    Direkt hinter den Eingangstüren
stand ein Mann – durch die helle Beleuchtung in der Halle warf seine Gestalt
einen langen Schatten. Er trug einen Trenchcoat mit aufgestelltem Kragen und
einen breiten Hut mit tief herabgezogener Krempe. Als ich mich ihm näherte, hob
er den Kopf, sodass ich sein Gesicht erkennen konnte.
    Scheiße. Dren.
    Â»Hallo, Schwester.«
    Mich packte ein überwältigendes
Gefühl der Ungerechtigkeit, und zwar von der tief gehenden Sorte, die man
eigentlich nur als Kind verspürt. Das Krankenhaus war mein Heim – manchmal
sogar mehr als meine Wohnung. Wie konnte er es wagen, jetzt hier aufzukreuzen
und mich zu bedrohen? Ich biss die Zähne zusammen.
    Â»Ich habe herausgefunden, dass dein
Bruder jede Nacht im Depot schläft«, klärte mich Dren auf. »Das ist
wahrscheinlich besser als der kalte Boden draußen im Freien, aber mal ehrlich,
Schwester – liebst du ihn denn gar nicht? Oder ist er der Grund, warum du hier
bist?« Er warf einen vielsagenden Blick auf die Eingangshalle hinter sich.
    Â»Lass meine Familie da raus,
Dren.«
    Â»Warum sollte ich?« Seine Augen
funkelten belustigt, als er mein Unbehagen spürte. »Du schuldest mir was.«
    Â»Wie du von mir erwarten
kannst, dass ich Wiedergutmachung leisten soll, wenn ich nichts habe, womit ich
das tun könnte.«
    Â»Das ist so nicht ganz richtig.
Und du wirst den Preis bezahlen, den ich verlange«, erwiderte Dren. Er grinste
verschlagen und entblößte seine Fangzähne, die deutlich länger waren als die
übrigen. »Wie man hört, gönnt sich König Winter höchstpersönlich auf deiner
Station ein wenig Ruhe. Besorg mir das Blut des Werwolfkönigs, oder ich sauge
deinen Bruder bis auf den letzten Tropfen aus.«
    Ich schluckte schwer und wich
einen Schritt zurück. »Aber … du kannst doch nicht … das darfst du nicht.«
    Â»Es mag ja verboten sein, aber
das heißt nicht, dass rechtzeitig jemand zur Stelle sein wird, um mich
aufzuhalten. Glaub mir, ich kann verdammt schnell sein.« Er zog seine Sichel
aus dem Holster und ließ sie in seiner gesunden Hand herumwirbeln, sodass die
Klinge im Licht golden funkelte. »Ich frage mich, ob königliches Blut
tatsächlich blau ist.« Er zog das königlich spöttisch in die Länge. »Bisher habe ich mich
noch nie so weit oben in der Nahrungskette bedient.«
    Â»Aber … warum?«
    Die Sense erstarrte, und er
musterte mich mit schräg gelegtem Kopf, fast wie ein Insekt. Seine Miene hatte
nichts Menschliches mehr an sich. »Tu es, oder dein Bruder stirbt. Deine
Neugier spielt keine Rolle.«
    Falls Jake durch eigenes Verschulden
wieder abstürzte, konnte ich damit vielleicht noch fertigwerden. Ich war jetzt
so lange die Rettungsinsel gewesen, die ihn über Wasser hielt, dass mir niemand
einen Vorwurf machen konnte, wenn ich langsam müde wurde. Aber eine Mitschuld
an seinem Tod zu tragen, obwohl ich ihn hätte verhindern können? Das würde ich
mir niemals verzeihen. Ich war stolz auf meine Arbeit, auf das Berufsethos …
aber hier ging es um meine Familie. »Wie viel?«, hörte ich mich fragen, noch
bevor ich die Sache ganz zu Ende gedacht hatte.
    Â»Braves Mädchen. Sagen wir,
einen fetten Tropfen.«
    Â»Frisch oder getrocknet?«
    Dren lachte boshaft. Ȇberrasch
mich.«
    Ich hatte keinen blassen
Schimmer, wie ich Blut aus einem Krankenzimmer schmuggeln sollte, das nicht mir
unterstellt war und vor dem – falls Gina recht behielt – inzwischen
wahrscheinlich Wachen postiert waren. »Wenn ich das mache, sind wir aber
abschließend quitt, ja?«
    Â»O nein. Deine Schuld bleibt
bestehen – aber um deren Begleichung können wir uns später noch kümmern.« Er
steckte seine Waffe weg.
    Ich holte tief Luft. »Dren …
nenn mir den Grund.«
    Â»Wenn

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