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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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zu Staub zerfiel und einen fiesen Fleck mitten in dem Einbauschrank
hinterließ? Dann konnte ich meine Kaution vergessen.
    Mit einem bitteren Lachen
quälte ich mich aus dem Bett und machte mich auf die Jagd nach ein paar
Klamotten.
    Gideon war im Wohnzimmer und
saß immer noch auf meinem Sofa. Das Internetradio war schon lange verstummt.
Ich spähte auf die Uhr am Herd. Vier Uhr nachmittags. Ich hatte nur sechs
Stunden geschlafen. Nach dieser Nacht reichte das nicht aus, um sich erholt zu
fühlen. Aber draußen war es noch hell, und damit war ich eindeutig sicherer als
bei Dunkelheit.
    Â»Okay, dann werde ich uns mal
etwas zu essen besorgen.« Ich holte mir von Gideon den Laptop zurück und
schaltete ihn ein, um meinen Kontostand zu überprüfen. Am Vorabend war automatisch
mein Gehaltsscheck gutgeschrieben worden – irgendwie zweifelte ich immer daran,
ob das Geld auch wirklich ankam, bis es dann passierte. Jetzt fühlte ich mich
etwas besser. Damit würde ich für die nächsten zwei Wochen gut über die Runden
kommen – die Miete war erst wieder am Fünfzehnten fällig. Aber ich konnte
Gideon auch nicht ewig nur mit Eiern füttern, da würde jeder schlechte Laune
bekommen. »Isst du gern chinesisch?« Ganz in der Nähe gab es einen Asia-Imbiss.
Da wäre das Essen dann auch schon in mundgerechte Happen geschnitten. Er zuckte
mit den Schultern.
    Â»Also nichts Chinesisches?«
    Wieder ein Schulterzucken.
    Â»Wenn das hier funktionieren
soll, müssen wir das mit dem Nicken und Kopfschütteln besser hinkriegen. Also …
Frühlingsrollen?« Nicken. »Hühnchen mit Pilzen?« Heftiges Kopfschütteln. Ich
atmete erleichtert auf. »Zitronenhuhn?« Nicken.
    Zwanzig Fragen später hatte ich
uns ein Menü zusammengestellt, wobei ich herausfand, dass Gideon weder Pilze
noch Hühnchen Kung Pao oder süßsaure Suppe mochte. Was auch ganz gut war, weil
er die sowieso nicht hätte trinken können. Was mich wiederum auf einen Gedanken
brachte.
    Ich kramte die alte
Sprühflasche hervor, mit der ich Minnie davon abgehalten hatte, am Sofa zu
kratzen, als es noch einen Versuch wert war. Nachdem ich den Sprühkopf
gereinigt hatte, füllte ich die Flasche und ging damit zu Gideon.
    Â»Mund auf. Ich werde dich jetzt
einsprühen wie eine Zimmerpflanze.«
    Es landete wahrscheinlich mehr
Wasser auf seinem Gesicht als in seinem Mund. Aber wenn er beide Hände
zusammenpresste, konnte er die Flasche einigermaßen festhalten und sich selbst
besprühen. Und damit war er erst mal eine Weile beschäftigt. Auf die Dauer
würde das wahrscheinlich sein größtes Problem werden: Nicht mit der Außenwelt
kommunizieren zu können, konnte ihn vielleicht sogar in den Wahnsinn treiben.
Ich hatte das bei Langzeitpatienten schon erlebt. Die meisten von ihnen waren
drogensüchtig und hatten deshalb kein richtiges soziales Netz, das sie
auffangen konnte. Was Gideon eigentlich auch nicht hatte – nur Anna, seine nun
vampirische Freundin und mich. Und ich schaffte es ja kaum, mir privat eine
Katze zu halten; mich längere Zeit um ein menschliches Wesen zu kümmern, war
völlig ausgeschlossen.
    Ich sah mich in meinem
Miniwohnzimmer um, das durch Gideons Anwesenheit sogar noch kleiner wirkte.
Dabei entdeckte ich die Überreste der Weihnachtsgeschenke, um die ich mich nach
den Feiertagen kümmern musste. In einem von ihnen lag der hässliche Gürtel, den
ich von Peter bekommen hatte, den ich aber mit tödlicher Sicherheit niemals
tragen würde. Wenn ich ihn gleich umtauschte, hatte ich vielleicht genug
Bargeld, um unser chinesisches Essen zu bezahlen.
    Â»Okay, Gideon, ich gehe jetzt«,
sagte ich, während ich die Päckchen einsammelte, um sie draußen wegzuwerfen
beziehungsweise umzutauschen. Gideon blieb auf seinem Sofaplatz, nickte und
brummte.
    Winters Teststreifen lag
immer noch in meiner Handtasche. Eigentlich hätte ich ihn in einen
Plastikbeutel stecken müssen – hallo, Ansteckungsgefahr –, aber das Blut war
inzwischen getrocknet, also bezweifelte ich stark, dass meine Handtasche sich
zu Vollmond in eine Wer-Tasche verwandeln würde. Ich wollte das Ding sowieso
nicht anfassen, zumindest nicht bevor die Zeit gekommen war, es Dren zu
übergeben.
    Durch die dicke Wolkendecke
drang nur trübes Tageslicht. Das ewige Grau der Stadt – zumindest im Winter,
nicht im Sommer, da war es

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